Replik

Lueger-Statue: Der Historiker als Denkmalstürmer

Die Presse/Clemens Fabry
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Schon Robert Musil wusste, für die Wirksamkeit von Denkmälern auf das historische Bewusstsein gibt es keine Evidenz.

Dirk Rupnow rief auf diesen Seiten vor kurzem (5.Juni) zum Sturz der Statue Karl Luegers von seinem Denkmalpodest in Wien auf. Zur Begründung zitiert Rupnow unter anderem eine Rede des Bürgermeisters von New Orleans, Mitch Landrieu aus 2017 anlässlich der Entfernung eines Konföderiertendenkmals – laut Rupnow „die bei Weitem klügste Rede“, die zum Thema Denkmäler und ihrer Entfernung gehalten wurde. Der optimistische Schluss dieser Rede lautete: „. . . We have not erased history; we are becoming part of the city's history by righting the wrong image these monuments represent . . .“Gastkommentare und Beiträge von externen Autoren müssen nicht der Meinung der Redaktion entsprechen.

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Dieser Optimismus ehrt den sympathischen Mr. Landrieu. Für die Wirksamkeit von Denkmälern auf das historische Bewusstsein gibt es allerdings keine sozialwissenschaftliche Evidenz. Der Verfasser dieser Zeilen machte vor Jahrzehnten einen diesbezüglichen Versuch und zeigte einem durchaus gebildeten (meist wienerischen) Publikum etwa dreißig Wiener Denkmäler, verbunden mit der Frage, wer da warum und wo dargestellt werde. Die allermeisten Denkmäler, auch von als bekannt anzunehmenden Personen, wurden nicht einmal erkannt. Voll traf also das Diktum Robert Musils zu, dass „nichts so unsichtbar“ sei „wie ein Denkmal“! Man setze, so Musil 1936, Denkmäler überhaupt nur, um anschließend mit gutem Gewissen das Denkmal und die damit geehrte Person – vergessen zu können.

Wie aber verhielt sich das offizielle Wien 1926 zur Denkmalserrichtung? Der Stadtrat des „Roten Wien“ wollte das Denkmal nicht vor dem Rathaus haben, dafür wies er jenem den heutigen Platz zu. Der Bürgermeister, Karl Seitz, hielt bei der Enthüllung sogar eine Rede. Dabei erinnerte er zunächst an den streitbaren Politiker Lueger, dessen wichtigster Kontrahent im niederösterreichischen Landtag Seitz selbst gewesen war, aber er konzedierte ihm „ein großes Verdienst“, nämlich dass jener „die breite Masse des Bürgertums politisch geweckt“ habe. Lueger habe den ersten Schritt zur Demokratisierung der Gemeindeverwaltung getan; die Kommunalisierung von Straßenbahnen, Elektrizitäts- und Gaswerken sei „ein großer Fortschritt“ gewesen. Er beendete seine Rede mit dem Satz: „In diesem Sinne übernehme ich namens der Stadtverwaltung das Denkmal des Bürgermeisters Lueger in die Obhut der Gemeinde.“ Dort befindet sich es sich offensichtlich bis heute. Kein Wort zum Antisemitismus des Geehrten.

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