Anstatt den G7-Gipfel für Deeskalation zu nutzen, hat Großbritanniens Premier Boris Johnson den Konflikt mit der EU weiter angefacht. Die Zweifel an der britischen Vertragstreue mehren sich, die Gefahr eines Handelskriegs wächst.
London/Brüssel. Das gute Zureden von US-Präsident Joe Biden nutzte nichts: Anstatt den seit Jahresbeginn schwelenden Konflikt um die Umsetzung des EU-Austrittsabkommens zu entschärfen, hat Großbritanniens Premier, Boris Johnson, das Feuer am Wochenende weiter angefacht. Am Rande des G7-Gipfels im südenglischen Cornwall stellte Johnson klar, dass er die britischen Verpflichtungen im Umgang mit dem Warenverkehr zwischen Nordirland und dem Rest des Vereinigten Königreichs für inakzeptabel erachte. Er werde alles tun, um die „territoriale Integrität“ seines Landes zu wahren, sagte der Regierungschef am Sonntag, während Außenminister Dominic Raab den Europäern vorwarf, sie würden Nordirland als eine von Großbritannien separierte Entität behandeln.
Angesichts der Tatsache, dass so gut wie alle Beobachter im Vorfeld des G7-Gipfels davon ausgegangen waren, Johnson würde das Treffen in Cornwall zur Imagepolitur nutzen und auf Deeskalation setzen, fiel die Manöverkritik der Brexit-Professionisten zu Wochenbeginn ernüchternd aus. Mujtaba Rahman vom Thinktank Eurasia Group bezifferte die Wahrscheinlichkeit eines britisch-europäischen Handelskriegs mit 40 Prozent. Der Grund dafür ist im Kalender zu finden: Der Brexit-Fahrplan sieht vor, dass ab dem 1. Juli britische Würste nur noch im gefrorenen Zustand nach Nordirland geliefert werden dürfen. Sollte London die vertraglich fixierte Übergangsfrist im Alleingang verlängern, hätte Brüssel keine andere Wahl, als angemessen zu reagieren – und die im Brexit-Vertrag verankerten Sanktionsmechanismen zu aktivieren. Rahman geht davon aus, dass in diesem Fall die EU nach dem Sommer Strafzölle gegen britische Ausfuhren nach Europa verhängen dürfte.