Gastbeitrag

Sozialplan: Freiwillige Abfindung nur für Willige

Der Justizpalast, Sitz des Obersten Gerichtshofs
Der Justizpalast, Sitz des Obersten Gerichtshofs"Die Presse"/Michaela Bruckberger
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Der Oberste Gerichtshof hat erstmalig entschieden, dass freiwillige Abfindungen für Arbeitnehmer rechtswirksam mit deren Verzicht auf eine Kündigungsanfechtung verknüpft werden können.

Restrukturierungen mit Personalabbau sind schmerzhafte Einschnitte, manchmal aber unumgänglich, und sollen möglichst rasch „durchgezogen“ werden können. Darf ein mit dem Betriebsrat ausgehandelter Sozialplan das „Beschleunigungsgebot“ so umsetzen, dass er freiwillige Abfindungen nur für Arbeitnehmer vorsieht, die ihre Kündigung nicht vor dem Arbeitsgericht anfechten? Mit dieser Frage hatte sich der Oberste Gerichtshof jüngst auseinanderzusetzen.

Der Fall: Eine im Jahre 2018 abgeschlossene Betriebsvereinbarung gewährte Dienstnehmern eine freiwillige Abfindung, wenn ihr Dienstverhältnis einvernehmlich aufgelöst oder vom Dienstgeber gekündigt wurde. Im Falle der Kündigung durch den Arbeitgeber entfiel die freiwillige Abfindung allerdings, wenn der Dienstnehmer oder der Betriebsrat diese Kündigung vor dem Arbeitsgericht anfechten sollten.

Ein gekündigter Arbeitnehmer focht die Kündigung mit zwei Klagen („normale“ Kündigungsanfechtung nach § 105 ArbVG und Anfechtung wegen angeblichen Verstoßes gegen das Gleichbehandlungsgesetz) an und klagte zusätzlich die freiwillige Abfindung in Höhe von mehr als hunderttausend Euro ein. Steht ihm diese zu, obwohl die Betriebsvereinbarung den Anspruch ausschloss?

Ein Sozialplan ist eine Betriebsvereinbarung nach § 97 Abs 1 Z 4 Arbeitsverfassungsgesetz, abgeschlossen zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat, mit der bestimmte gravierende Betriebsänderungen abgefedert werden sollen. Eine dieser wesentlichen Betriebsänderungen ist der Personalabbau ab einer gewissen Größenordnung. Der Abschluss einer Betriebsvereinbarung über einen Sozialplan kann vom Betriebsrat gegebenenfalls auch erzwungen werden.

Das zwingende Betriebsverfassungsrecht …

Die rechtlichen Beziehungen zwischen der Belegschaft eines Betriebes als Gesamtheit und dem Betriebsinhaber sind im Arbeitsverfassungsgesetz geregelt, das 2024 seinen 50. Geburtstag feiern wird. Die Interessen der Belegschaft als Ganzes und die Interessen des einzelnen Arbeitnehmers sind nicht immer deckungsgleich. Damit der typischerweise wirtschaftlich überlegene Arbeitgeber betriebsverfassungsrechtliche Bestimmungen nicht durch entsprechende Gestaltung der individuellen Arbeitsverträge aushebeln kann, gehört das Arbeitsverfassungsgesetz zum sogenannten absolut zwingenden Recht, es kann nichts Abweichendes gültig vereinbart werden. Die im ArbVG vorgesehenen Möglichkeiten zur Kündigungsanfechtung durch den Betriebsrat oder den Gekündigten sind daher auch zwingendes Recht („ius cogens“), weder Betriebsrat noch Arbeitnehmer können darauf im Vorhinein gültig verzichten. So argumentierte im konkreten Fall auch das Oberlandesgericht Linz als Berufungsgericht: Die Verknüpfung zwischen freiwilliger Abfindung und Nichtanfechtung einer Kündigung sei rechtsunwirksam und die Betriebsvereinbarung in diesem Punkt nichtig.

… und seine Umgehung?

Der vom beklagten Arbeitgeber angerufene Oberste Gerichtshof billigte in einer jüngst veröffentlichten Entscheidung (OGH 29.04.2021 9 ObA 9/21w) aber die konkrete Betriebsvereinbarung: Der Arbeitgeber brauche keine Sozialplanleistungen erbringen, wenn er dem Risiko von Kündigungsanfechtungen ausgesetzt sei. Der raschen Herstellung von Rechtssicherheit für alle Beteiligten und der Wahrung des Rechtsfriedens würde durch Vereinbarungen wie der getroffenen gedient. Und den zwingenden Bestimmungen des ArbVG zur Kündigungsanfechtung widerspreche die getroffene Betriebsvereinbarung über einen Sozialplan auch nicht, da weder der Betriebsrat noch der einzelne Arbeitnehmer schon vorab generell auf eine Kündigungsanfechtung verzichteten.

Der Oberste Gerichtshof betont, dass dem Arbeitnehmer ein uneingeschränktes Wahlrecht zukomme: Er könne einer einvernehmlichen Auflösung seines Arbeitsverhältnisses zustimmen (freiwillige Abfindung), er könne es auf eine Arbeitgeberkündigung ankommen lassen und diese dann nicht anfechten (freiwillige Abfindung) oder aber er könne eine Kündigungsanfechtungsklage beim Arbeitsgericht einbringen, die ja durchaus auch zu seinen Gunsten ausgehen könne. Der Arbeitnehmer setze dann aufgrund seiner eigenen Entscheidung sein Arbeitsverhältnis fort und erhielte natürlich keine Sozialplanleistungen. Unterliege der Arbeitnehmer mit seiner Kündigungsanfechtung vor Gericht, verblieben ihm seine gesetzlichen Ansprüche.

Aus der Entscheidung des Obersten Gerichtshofes ergibt sich aber auch als Schranke, dass unter anderem ein Element für den Bestand einer solchen Betriebsvereinbarung Sozialplan von zentraler Bedeutung ist: Der Sozialplan darf keinen generellen Vorabverzicht der Betriebsrates auf sein Kündigungsanfechtungsrecht enthalten.

Rechts- und Planungssicherheit

Ob man die vom OGH (im Anschluss an die überwiegende Meinung in der arbeitsrechtlichen Lehre) gefundene Lösung als sachgerecht ansieht, hängt vom jeweiligen Blickwinkel ab. Man könnte dagegen argumentieren, welcher (rational handelnde) Betriebsrat schließe eine Betriebsvereinbarung wie die gegenständliche ab und beraube dann Arbeitnehmer einer freiwilligen Abfertigung, indem er eine folgende Kündigung anfechte. Mit der Textierung der Betriebsvereinbarung sei klar, dass es zu keinen Kündigungsanfechtungen kommen werde, der Arbeitgeber habe Rechts- und damit betriebswirtschaftliche Planungssicherheit auf der Basis eines faktischen Vorabkündigungsverzichts.

Das Gegenargument – und insoweit ist dem OGH zuzustimmen – wäre natürlich, dass nach getroffener Betriebsvereinbarung der Betriebsrat jede dann ausgesprochene Kündigung selbstverständlich individuell auf ihre Rechtfertigung prüfe und ohnedies nur höchst erfolgversprechende Fälle mit Zustimmung des Arbeitnehmers durch eine Klage anfechte. Gegen den Willen des Arbeitnehmers kann der Betriebsrat generell keine Kündigung anfechten. Die Letztentscheidung liegt daher immer beim konkreten Arbeitnehmer. Und: Im entschiedenen Sachverhalt hat ohnehin der Arbeitnehmer selbst die Kündigung angefochten und nicht der Betriebsrat.

Sachgerecht in wirtschaftlich fordernden Zeiten

Die gefundene Lösung ist summa summarum gerade in fordernden wirtschaftlichen Zeiten sachgerecht und lässt dem Arbeitnehmer auch keine Hintertürchen offen, wie die Entscheidung des OGH zeigt: Zieht der Arbeitnehmer seine Kündigungsanfechtungsklage im Laufe des Verfahrens zurück, ist es zu spät, der verwirkte Anspruch auf freiwillige Abfindung lebt nicht wieder auf. Der OGH verwirft auch den Einwand des Arbeitnehmers, dass der Arbeitgeber ihn nicht über die Konsequenzen aufgeklärt habe: Die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers gegenüber seinen Arbeitnehmern gehe generell nicht so weit, dass der Arbeitgeber eine allgemeine Verpflichtung habe, Arbeitnehmer über ihre Rechte aufzuklären, insbesondere auch bei der Beendigung von Arbeitsverhältnissen. Zweckmäßig ist aus Sicht von Belegschaft und Betriebsrat juristische Beratung bei Abschluss von Sozialplänen – Betriebsvereinbarungen mit in der Regel erheblicher Tragweite. Der Arbeitgeber muss nicht zur gespaltenen Persönlichkeit werden, die einerseits mit dem Betriebsrat als Gegenüber die Betriebsvereinbarung verhandelt und abschließt und andererseits die vom Betriebsrat vertretene Belegschaft über die für diese nachteiligen Inhalte aufzuklären hat.

Die Autoren

MMag. Dr. Alexander Lamplmayr ist Rechtsanwalt der Bruckmüller RechtsanwaltsgmbH, Dr. Karl Krückl, MA LL.M emeritierter Rechtsanwalt und Of Counsel der Bruckmüller RechtsanwaltsgmbH in Linz.

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