Gehirnerschütterungen

Kopfverletzung: Im geringsten Zweifel sollten Fußballer vom Platz

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FBL-EURO-2020-2021-MATCH12-FRA-GERAPA/AFP/POOL/MATTHIAS HANGST
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Medizin. Der Franzose Benjamin Pavard gab zu, nach einem rüden Foul gegen den Kopf ausgeknockt gewesen zu sein. Er spielte danach bis Abpfiff durch, das weckt Kritik – und stellt die „Charta für Gehirnerschütterungen“ der Uefa infrage.

München. Seit dem Herzstillstand-Kollaps des Dänen Christian Eriksen herrscht eine besondere Sensibilität auf dem Platz; sollte man meinen. Schon wenige Tage später sorgt der Fall des Franzosen Benjamin Pavard für herbe Systemkritik. Er war im Spiel gegen Deutschland von Robin Gosens geradezu umgerammt und ausgeknockt worden. Der Deutsche sprang ihm nach einem Eckball mit dem Knie in Gesicht, die Rote Karte sah er dafür nicht. „Ich war ausgeknockt, zehn bis 15 Sekunden lang. Danach war es besser“, sagte der Bayern-Verteidiger nach dem 1:0 der Franzosen. Er war mit voller Wucht am Kopf getroffen worden – und spielte trotzdem bis zum Abpfiff durch.

Freilich, der 25-Jährige wurde vom Teamarzt untersucht. Nur, wäre es bei Kopfverletzungen und möglichen Folgen nicht ratsamer, seitens der Uefa nicht notwendig, diese Spieler auszutauschen?

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FBL-EURO-2020-2021-MATCH12-FRA-GERAPA/AFP/POOL/MATTHIAS HANGST

Anfang der Woche haben alle 24 EM-Teams eine „Charta für Gehirnerschütterungen“ unterzeichnet. Damit wurden sie verpflichtet, eine Reihe von Maßnahmen zu ergreifen, um die Versorgung zu verbessern. Es umfasst neurologische Basistests und den Zugang zu TV-Wiedergaben für Teamärzte – aber erst später, nicht im Spiel. Eine Erklärung von FifPro, der Weltspielergewerkschaft, forderte dazu die Einführung eines „Erschütterungsprotokolls“, das eine schrittweise Rückkehr nach mindestens sechs Tagen erzwingen würde. Damit erst später einsetzende Beschwerden („Second Impact Syndrome“) nicht übersehen werden.

Eine Sensibilisierung?

Bisher haben fünf Ligen – England, Niederlande, Portugal, Japan, USA – die Option des „Gehirnerschütterungs-Austausches“ angenommen. Die Uefa, Vorreiter dieser Idee, lehnte es paradoxerweise für die EM ab. Warum? Nach dem Start ihrer Kampagne zur Sensibilisierung dieser Problematik (Fouls, Kopfbälle, Zusammenstoß) im Oktober 2019 wäre das ein weiterer, sinnvoller Schritt gewesen.

Das „International Football Association Board“ (Ifab) beschloss im Dezember 2020 bereits, dass allein schon beim Verdacht auf Gehirnerschütterung eine zusätzliche Auswechslung möglich sein soll. Natürlich läuft der stete Verdacht von Missbrauch einher, aber Sicherheit hätte Vorrang. „Für uns steht fest: im Zweifel muss der Spieler vom Platz“, sagt der technische Ifab-Direktor David Elleray.

Dass die Diagnose mitten im laufenden Spiel „nicht oft schnell genug und zuverlässig gestellt werden kann“, ist ihm bewusst. Darob forderte er vehement die Tausch-Option ein. Die (finale) Entscheidung darüber, ob allerdings gewechselt werden muss oder nicht, obliegt nicht dem Referee. Sondern diesen „Call“ müssen Teamchefs und Teamärzte machen, und schon gar nicht der Spieler.

Ärzte können von Offiziellen, Zuschauern und Spielern unangemessen unter Druck gesetzt werden. Ob sich die EM-Erschütterungs-Charta durchsetzen lässt? Alle Teams und Ärzte unterschrieben diesen Uefa-Passus: „Wir bestätigen, dass ein Spieler unserer Mannschaft bei Verdacht auf Gehirnerschütterung sofort vom Platz genommen wird, sei es im Training oder im Spiel.“ Im Fall von Benjamin Pavard streiten sich vermutlich jetzt noch die Geister. (fin)

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