Die Kommission kann vor einem neuen homosexuellenfeindlichen Gesetz in Ungarn nicht mehr die Augen verschließen. Ihr lange köchelnder Konflikt mit dem um seine Wiederwahl fürchtenden Ministerpräsidenten könnte spätestens im Herbst eskalieren.
So schnell kann es manchmal gehen: bis Mittwoch, knapp nach Mittag, hatte die Europäischen Kommission den Beschluss eines neuen höchst problematischen Gesetzes durch das ungarische Parlament mit keiner Silbe gewürdigt. Anfragen von Journalisten versackten unbeantwortet im Berlaymont-Gebäude. Doch dann passierte etwas, das ich in fast zwei Jahrzehnten als Journalist nur selten erlebt hatte: durch öffentliches Nachfragen und Beharren bei einer Pressekonferenz kam in der Kommission etwas in Gang - bis hinauf zu Präsidentin Ursula von der Leyen. Doch der Reihe nach.
Worüber Brüssel redet
Konkret geht es um ein Gesetz, das man eigentlich nur aus Wladimir Putins Russland kennt. Es soll Kindern und Jugendlichen sämtliche medialen Inhalte verbieten, in denen sexuelle Minderheiten dargestellt werden. Sprich: keine Sexualkundeunterricht an Schulen, in denen den Schülern beigebracht wird, dass es in Ordnung ist, homosexuell zu sein. Das an sich ist schon alarmierend. Junge Menschen, die zu sexuellen Minderheiten gehören, stehen ohnehin unter hohem persönlichen und gesellschaftlichen Druck. Sie leiden signifikant öfter unter Depressionen und anderen seelischen Krankheiten. Ihre Selbstmordanfälligkeit ist deutlich höher als jene von heterosexuellen Jugendlichen. Wieso will ihnen die ungarische Regierung das Leben also noch beschwerlicher machen?