Gastbeitrag

Warum Facebook in Österreich 9,6 Millionen Euro Strafe zahlen muss

Facebook-Headquarter für Europa in Dublin
Facebook-Headquarter für Europa in DublinREUTERS
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Das Kartellrecht stellt nicht mehr allein auf bestimmte Umsatzgrößen ab. Die „Transaktionswertschwelle“ kann schon früher überschritten sein.

2017 sorgte der Gesetzgeber mit der Kartellrechtsreform für eine Ausweitung der anmeldebedürftigen Zusammenschlüsse im Zuge der Fusionskontrolle. Diese heftig diskutierte Reform hat nun einen bemerkenswerten Anwendungsfall mit schillernden Namen gefunden.

Grundsätzlich sieht das österreichische Kartellrecht eine verpflichtende Anmeldung von Unternehmenszusammenschlüssen bzw. -übernahmen vor, wenn mindestens zwei beteiligte Unternehmen einen weltweiten Umsatz von fünf Millionen Euro, sowie alle gemeinsam einen weltweiten Umsatz von 300 Millionen Euro erwirtschaften und in Österreich einen Umsatz von 30 Millionen Euro erzielen. Werden diese Schwellen überschritten, ist eine Prüfung des Zusammenschlusses durch die Wettbewerbsbehörden, Bundeswettbewerbsbehörde und Bundeskartellanwalt, verpflichtend. Eine Durchführung eines Zusammenschlusses ohne eine verpflichtende Meldung kann teuer kommen.

Umsätze greifen bei Gratis-Digitaldiensten zu kurz

Das Kartellrecht stellt damit auf die Umsätze der zusammenschließenden Unternehmen ab, was in manchen Fällen, z.B. bei kostenlosen Digitaldiensten oder Pharmaprodukten in der Entwicklung, zu kurz greift. Dies wurde spätestens seit der Transaktion Facebook/Whatsapp 2014 weltweit diskutiert. Dementsprechend sah sich der österreichische Gesetzgeber – ähnlich wie in Deutschland - im Zuge einer Reform im Jahr 2017 veranlasst, insbesondere in Hinblick auf Unternehmen der digitalen Wirtschaft, eine zusätzliche Aufgriffsschwelle in das Kartellrecht zu integrieren, die sogenannte „Transaktionswertschwelle“. Das Gesetz ist aber nicht auf bestimmt Branchen beschränkt und hat daher auch für Transaktionen im Pharma-Bereich erhebliche Auswirkungen. Ziel war es, vermehrt Zusammenschlüsse von Unternehmen zu erfassen, die zwar nur geringe Umsätze generieren, deren Zusammenschluss aber, etwa wegen der betroffenen Innovationspotentiale, eine erhebliche wirtschaftliche Relevanz für den Markt hat.

Subjektive Bewertung der Beteiligten

Wirtschaftlich relevant wird ein Zusammenschluss im Sinne dieses Gesetzes, wenn für den Erwerb eine hohe Gegenleistung erbracht wird. Darin zeigt sich die (subjektive) Bewertung der beteiligten Unternehmen. Neben dem bereits erwähnten erforderlichen weltweiten gemeinsamen Umsatz von 300 Millionen Euro und einem (niedrigeren) inländischen Umsatz von 15 Millionen Euro wird von einer wirtschaftlichen Relevanz am Markt ausgegangen, wenn für den Unternehmenserwerb über 200 Millionen Euro gezahlt wird. Daher ist ein Unternehmenszusammenschluss auch dann zur Prüfung anzumelden, wenn die ursprünglichen im Kartellrecht vorgesehen Umsatzschwellen nicht erreicht werden, aber für den Zusammenschluss eine Gegenleistung von über 200 Millionen Euro erbracht wird und das zu erwerbende Unternehmen in erheblichen Umfang in Österreich tätig ist. Sowohl die Auslegung des „erheblichen Umfanges“ für die Inlandstätigkeit als auch die Definition der Gegenleistung werfen zahlreiche Fragen auf.

Tatsächlich kam es im Frühsommer dieses Jahrs zur Anwendung dieser doch sehr theoretisch klingenden Klausel: So muss Facebook nun wegen der nicht angemeldeten Übernahme der amerikanischen Online-Datenbank Giphy eine Strafe von EUR 9,6 Millionen in Österreich zahlen. Grund dafür war Facebooks Übernahme des Internetdienstes im Mai 2020, die in Österreich aber nicht der Kartellbehörde gemeldet wurde. So berief sich die Wettbewerbsbehörde bei Feststellung der fehlenden Anmeldung der Übernahme eben auf die neu geschaffene Bestimmung der Reform aus 2017. Das Verfahren wurde durch ein „Settlement“ zwischen Facebook und der Behörde beendet.

Unternehmerische Tätigkeit in Österreich

Zwar seien die herkömmlichen Umsatzschwellen nicht erreicht, aber die Transaktionswertschwelle. Laut Ansicht der Wettbewerbsbehörde sei Giphy in erheblichen Umfang in Österreich tätig, weil nicht nur auf die unmittelbare Nutzung über die eigene Webseite und App von Giphy abzustellen sei, sondern auch auf die Nutzer von anderen Diensten, Webseiten und Apps von Drittanbietern, welche Giphy mittels Programmierschnittstellen integrieren. Die Bestimmung der Reform aus 2017 findet also im aktuellen Fall Facebook Anwendung.

Bisher haben Deutschland und Österreich diese Transaktionswertschwelle eingeführt, und die jeweiligen Wettbewerbsbehörden haben sogar einen gemeinsamen Leitfaden dazu veröffentlicht, um die Unklarheiten in der Anwendung zumindest zu reduzieren. Die Europäische Kommission und andere Staaten evaluieren die bisherigen Erfahrungen und die komplexen Fragen der Anwendung. Die Europäische Kommission kann dabei auch auf ihr Verweisungsregime zurückgreifen und hat dies bereits mehrfach getan. Die überwiegende Anzahl der in Österreich von der neuen Transaktionswertschwelle erfassten Transaktionen waren aber bisher nicht die innovationsgetriebenen Märkte, die die Novelle 2017 erfassen wollte.

Anmeldepflicht deutlich erweitert

Jedenfalls zeigten aber die jüngsten Entwicklungen, dass es für die neuen Bestimmungen durchaus einen Anwendungsbereich in bemerkenswerten Konstellationen gibt. Wie auch immer man zur Reform aus 2017 steht, der aktuelle Fall Facebook zeigte die nicht zu unterschätzenden Auswirkungen auf. Der Fall verdeutlicht auch, wie umfassend der Begriff Inlandstätigkeit bei technischen Anwendungen zu verstehen ist und wie weitreichend damit die im Jahr 2017 geschaffene Anmeldepflicht sein kann. Auch die Leitlinien der Wettbewerbsbehörden können nur einen Teil der möglichen Fallvarianten abdecken. Folglich werden Unternehmen zukünftig gut beraten sein, bei einem Unternehmenszusammenschluss ganz genau zu prüfen, ob es sich hierbei nicht um eine kontrollpflichte Unternehmensfusion handelt. Bei den Wettbewerbsbehörden hat die Reform damit zumindest teilweise ihren gewünschten Effekt erreicht.

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