Melanzani mit Bach und einem Lächeln

Bicycles of various bike-sharing services are seen at a vacant lot in Wuhan
Bicycles of various bike-sharing services are seen at a vacant lot in WuhanREUTERS
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Wo sind die Fahrräder, wenn man eines kaufen will? Es ist wie mit den Badehosen, im Sommer sind sie aus.

Es gehört zu den Gesetzen, dass immer genau das fehlt, was man gern hätte (sonst merkte man ja auch gar nicht, dass es fehlt). Wer hat sich zum Beispiel jemals gedacht: Wie toll, dass es so viele Kühlschränke zu kaufen gibt – oder Kinderfahrräder? Und plötzlich sind Fahrräder und Küchengeräte wie französische Handtaschen, es gibt eine Warteliste, und die Farbe darf man sich auch nicht mehr aussuchen. Die Lieferketten, der Suez-Kanal, das Virus und seine Folgen.

Je nach Welle und Lockdown und Jahreszeit sind die Begehrlichkeiten andere, und wenn man sich daran erinnert, wie Krankenhäuser und Ordinationen verzweifelt um Masken und Desinfektionsmittel flehten, so scheint das bereits in ferner Vergangenheit zu liegen. Irgendwann ging es um Germ und Druckerpatronen, und jetzt ärgert man sich, dass schon so viele Hotels ausgebucht sind. Der Mensch ist anpassungsfähig.

Zwischen dem Überwinden von dem, was war, und der Freude auf die neuen Freiheiten, werden manchmal die flüchtigen Augenblicke übersehen, in denen alles im Gleichgewicht ist. Seit Jahren gehe ich etwa an einem kleinen Gasthaus vorbei, wo auf der Tafel vor der Tür in schiefer Schrift „Linsensuppe“ und „Gefüllte Melanzani“ gekritzelt steht. Vor Kurzem ging ich spontan hinein. Der türkische Wirt freute sich, es war sonst niemand da. Es ist selten jemand da. Er bat mich um ein paar Minuten, bis er alles zum Mitnehmen verpackt hätte. Ich sollte mich hinsetzen.

Er brachte mir Tee, ich sah die alten Ölbilder an, die Decken und Pölster, die Shisha-Pfeifen, aus den Lautsprechern dröhnte Bach, so laut, wie wir früher Nirvana gehört hätten. Wir lachten uns an, mit den Augen oberhalb der Masken, und waren beide wortlos einig und leicht im Herzen. So ein Moment, der sich einfach für sich gut anfühlt, obwohl gerade nichts passiert, außer ein alter Mann, der sich freut, einen Gast wie eine Königin zu umsorgen, und ein Lächeln, das man teilt.

Das Essen war übrigens auch sehr gut.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.06.2021)

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