Ein Stück Natur, das zwar nicht mehr ganz Natur ist, aber auch noch nicht das andere.
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Die letzte Favoritner Gstätten

Wo vor einer Woche noch Schutt lagerte, erstreckt sich heute eine planierte Ebene. Wo man gestern passieren konnte, versperrt einem ein Bauzaun den Weg. Den Feldhasen habe ich seit Wochen nicht mehr gesehen. Der einstige Lebensraum der einen ist der künftige Wohnraum der anderen. Immer muss irgendetwas verschwinden.

Ich bin ein Vogelbeckensaurier aus der Gruppe der Ankylosauria. Ein prachtvolles Weibchen. Bisschen zu dick vielleicht, selbst für ein ausgewachsenes Exemplar meiner Art, aber imposant anzusehen mit den steilen Knochenplatten auf dem Rücken. Trotz der schweren Panzerung ein friedlicher Pflanzenfresser. Vor 150 Jahren fand man versteinerte Überreste eines Artverwandten im niederösterreichischen Winzendorf-Muthmannsdorf und benannte ihn Struthiosaurus austriacus. Was man damals nicht ahnen konnte und auch heute kaum jemand weiß: dass es in Wien-Favoriten immer noch welche gibt. Also, zumindest einen. Mich.

Mein Habitat ist ein rund neun Hektar großes Areal in unmittelbarer Nähe des Hauptbahnhofs, zwischen Bahntrasse, Laxenburger Straße und Landgutgasse. Eine sogenannte Gstätten. Ein Stück Natur, das zwar nicht mehr ganz Natur ist, aber auch noch nicht das andere. Verbaute Stadt, Beton, Asphalt, Stein, Glas. Ich behäbige Saurierdame führe hier meinen vierbeinigen Begleiter spazieren, beobachte die vorbeigleitenden, ratternden oder quietschenden Züge und studiere die Graffiti auf der Lärmschutzwand vor den Gleisen.

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