Georgien, Abkhazia, Gagra, Schwarzmeerküste
Expedition Europa

Die Skyline der Küstenmetropole Batumi

Am Ende einer fünfstündigen Fahrt war ich am Schwarzen Meer: meine quälend langsame Reise durch Georgien – nur in den letzten Minuten war alles perfekt.

Meine so lang ersehnte Georgienreise war ein Desaster. Ich hetzte mich fünf Tage in quälend langsamen Autos ab, wartete auf quälend langsame Kellnerinnen, hastete am dritten Reisetag dem vorgeschriebenen PCR-Test entgegen, kam zweimal nicht in der gebuchten Pension unter, und weil ich kein Viber habe, wurde ich beispielsweise von georgischen Politikerinnen als Mann vom Mond angeschaut. Dabei waren fast alle Georgier überaus hilfsbereit.

Meine Reisefibel war ein mit suggestiver Sprache und makellosem Gerechtigkeitssinn geschriebenes Buch, „Georgien zwischen Eigenstaatlichkeit und russischer Okkupation“. Der Wissenschaftsdichter Philipp Ammon erzählt darin von einer großen Liebe: Die von Osmanen und Persern unterworfenen Georgier suchten lange das christliche Bündnis mit dem „weißen Russland des großen Nordens“, während Russen so sehr für das südliche Sehnsuchtsland schwärmten, dass sie laut John Steinbeck glaubten, „nicht in den Himmel zu kommen, wenn sie sterben, sondern nach Georgien“. Irgendwann ging was schief.

Kaukasisch schön war fast nur mein Schaschlik in Gardabani. Ein aserischer Stammgast hielt lächelnd sein Bier, die Jukebox spielte eine aramäische Ballade der hier siedelnden Assyrer, und eine aus Südossetien vertriebene Georgierin brachte mir den richtigen Konsum von Chinkali-Teigtaschen bei. Ich übernachtete in einer aufgelassenen Molkerei. Angeblich hatte sich hier der spätere Präsident Gamsachurdia vor der Sowjetmacht versteckt, der halbrussisch-adelige Besitzer quasselte mich aber lieber mit seinen Businessplänen voll.

Da es auf der Karte nah aussah, wollte ich aus Achalziche ans Meer fahren. Der armenischstämmige Taxler Hamo warnte mich, dann nahm er das Taxi-Dachschild ab und fuhr los. Es ging auf Schotterstraßen in den Kleinen Kaukasus hinauf. Romantisch war, als Hamo die Motorhaube seines Opels mit Wasser aus der Furt eines Wasserfalls besprenkelte, und als wir baumlos grüne Hochalmen mit hohen walserartigen Holzhäusern überquerten (im Erdgeschoß das Vieh, der Mensch darüber). Danach tat die Fahrt nur noch weh. Hamo hatte die Polizeibrutalität im ersten Lockdown erfahren. Georgiens Polizeistationen sind gläserne Raumschiffe, auch so sind die Rollos immer herunten, Festgenommene werden in den Keller geworfen. Hamo wählte den machthabenden Oligarchen Iwanischwili, wohl allein wegen der Beziehungen zu Russland.
Am Ende der fünfstündigen Fahrt war ich am Meer. Die Küstenmetropole Batumi hatte sich zu einem Monster von 50-stöckigen Billig-Wolkenkratzern mit zehntausend 15.000-Euro-Meerblick-Garçonnièren ausgewachsen. Es gab russischsprachige Touristen mit gelegentlich kasachischem Einschlag, Baustellen-Laster bretterten staubaufwirbelnd durch. Ich stieg im 37. Stock ab. Dafür, dass ich kein Viber habe, erntete ich die offene Verachtung des Rezeptionisten.

Ich überspringe die Minibusfahrt von Batumi nach Tiflis, wieder ein Tag im Arsch. Die langen Rolltreppen der Metro waren schmucklos wie Grubenschächte, alles andere an Tiflis war schön. Zwischen ausladenden Platanen umherhetzend, sah ich nur eine einzige Sehenswürdigkeit: 1802, in der Sionskathedrale, hatte der russische Oberbefehlshaber den georgischen Adel und Klerus zum Treueeid auf den Zaren gezwungen. Ich sah unter dem Weinrebenkreuz der heiligen Nino feine bürgerliche Herrschaften, deren feindselige Blicke erst nachließen, als ich meine FFP2 abnahm.

Vor dem Parlament war ein Protestcamp aufgebaut. Nachdem ich zwanzig Jahre lang Dutzende Maidans besucht hatte, wollte ich mir diesen sparen, dann stach mir ein Plakat ins Auge: Es zeigte den exilierten Ex-Präsidenten Saakaschwili vor der Skyline von Batumi, die aussah wie in Saakaschwilis Träumen. Ich redete also mit dem ältesten Protestcamper. „Wir sind auf Batumi stolz“, sagte Gela, und zwar auch auf Saakaschwilis nutzlosen Phallus-Leuchtturm und auf seine hoch hängenden Goldgondeln, in denen Studierende ihre Pausen verbringen sollten, die jetzt aber ungenutzt von dem zum Hotel umfunktionierten und „Iwanischwili gehörenden“ Wolkenkratzer abstehen. Iwanischwili sei ein Mann Moskaus, der sich „40 bis 45 Prozent von Georgien gekauft“ habe, während er Saakaschwili „wegen vier Anzügen“ verfolge. Gela lebte schon das vierte Jahr im Zelt, Iwanischwilis Regierungen hatten ihm stets neue Gründe geliefert, Verhaftete, Tote, zuletzt eine „gefälschte Wahl“. Ich fragte Gela: „Die Gründe gehen doch nie aus. Können Sie jemals nach Hause gehen?“ „Aber ja“, antwortete Gela, „er muss nur alle unsere Forderungen erfüllen.“

Meine Fahrt zum Flughafen fiel in die Ausgangssperre, es war noch Nacht. Da ich kein Viber habe, war meine Ausnahmegenehmigung auf das Handy des Fahrers geschickt worden. Tiflis zog mich beim nächtlichen Hinausgleiten betörend an, felsengrün-verwinkelt und futuristisch-modern. Beim Nachdenken über meine Georgier fiel mir auf, dass sie nie direkt auf Russland geschimpft hatten, sondern immer auf Landsleute aus dem anderen Lager. Das war die größte Erkenntnis meiner desaströsen Reise. Erst in den letzten Minuten war alles perfekt. Dann flog ich ab.

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.