Quergeschrieben

Über Identitätspolitik, Cancel Culture und staatliche Zensur

Das kulturelle Reinheitsgebot erinnert an die Nazi-Unzeit, wenig verwunderlich reiben sich rechte Identitäre höchst erfreut die Hände über linke Identitätspolitik.

Es war einmal vor langer, langer Sommerferienzeit. Da entdeckten junge Menschen mit wenig Geld, aber großem Fernweh die Welt und kehrten mit Zipfelchen fremder Kulturen nach Hause zurück. In den Wohnungen der Love-and-Peace-Blumenkinder erzählten Jalabas, Kimonos, Chamsas, asiatische Kegelhüte, Buddha-Figuren, Traumfänger, Wasserpfeifen, Bumerangs sowie die exotischen Namen der Nachwüchse von diesen Reisen.

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Heute? Sagt man kulturelle Aneignung dazu, wenn Angehörige der sogenannten weißen Dominanzkultur sich mit Dreadlocks, Bindis, Saris, Kaftanen und Kimonos schmücken, nicht schwarze Musiker einen auf Hip-Hop und Gangsta-Rap machen oder westliche Modeschöpfer afrikanisch gemusterte Stoffe vernähen. Auch Yoga und Ayurveda sind für Identitätspuristen verpönt, weil Raubgut aus Indien. Müssten dann nicht auch Sofas und der typisch österreichische Apfelstrudel auf dem Altar der Identitätspolitik geopfert werden? Beides hat bekanntlich seinen Ursprung in der arabischen Welt. Freilich sollte man stets respektvoll, wertschätzend und vor allem geschichtsbewusst umgehen mit Insignien fremder Kulturen und Traditionen.

Gleichzeitig erinnert das kulturelle Reinheitsgebot frappant an die Nazi-Unzeit, wenig verwunderlich reiben sich rechte Identitäre höchst erfreut die Hände über linke Identitätspolitik, vor der auch die streitbare deutsche Linke Sahra Wagenknecht in der „NZZ“ warnt: „Natürlich darf niemand aufgrund seiner Herkunft, seiner Religion oder seiner sexuellen Orientierung benachteiligt werden. Aber die Identitätspolitik will nicht Gleichheit, sondern Ungleichheit, sie bläst die Unterschiede zwischen Ethnien oder sexuellen Orientierungen zu bombastischen Gegensätzen auf. Der Bürgerrechtsbewegung in den USA ging es darum, dass die Hautfarbe keine Rolle mehr spielen sollte. In den identitätspolitischen Debatten ist sie dagegen das Unterscheidungsmerkmal, von dem abhängt, wer was sagen oder tun darf.“

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