Twitter und Co

Tipp: Mach deine Gegner nieder!

Wer gegen politische Gegner polemisiert, wird von den Gesinnungsgenossen besonders gern gelesen.
Wer gegen politische Gegner polemisiert, wird von den Gesinnungsgenossen besonders gern gelesen. APA/AFP/DAVID GANNON
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In sozialen Netzwerken haben negative Posts über ideologische Rivalen eine viel größere Chance, viral zu gehen. Deshalb kommen wir aus den Filterblasen nicht raus.

Wie oft hat man uns Nutzern von sozialen Medien erklärt, wir sollen doch unsere Filterblasen verlassen. Bestärkt euch nicht immer nur gegenseitig, hört auch einmal der anderen Seite zu, nehmt ihre Argumente auf, würdigt ihre Werte! Klingt gut. Ist aber vielleicht trotzdem keine gute Idee, haben nun Psychologen um Sander van der Linden von der Universität Cambridge durch eine Big-Data-Analyse amerikanischer Postings festgestellt (Pnas, 21. 6.).

Denn was erfährt man bei einem Ausflug auf die andere Seite? Nur selten eine positive Darstellung und Erklärung der politischen Haltung jener, mit denen man nicht konform geht. Viel öfter hingegen ein feindseliges Rumhacken auf dem ideologischen Gegner – also auf der eigenen Seite. Wer so etwas lesen muss, wird sich in seinen Animositäten bestärkt fühlen. Und sich erbost in die Filterblase zurückziehen. Aber warum geht es bei so vielen Postings auf Twitter und Facebook um ein Anpatzen politischer Rivalen? Weil solche Inhalte eine weit größere Chance haben, von vielen „geshared“ oder „geliked“ zu werden. Und im besten Fall viral zu gehen.

„Jeder Amerikaner muss Joe Bidens letzten Aussetzer sehen“, verbreiten Anhänger der Republikaner. Parteigänger der Demokraten ereifern sich: „Donald Trump hat über 3000 Mal gelogen, aber die Republikaner weigern sich zuzugeben, dass er ein Lügner ist.“ Solche Meldungen, mit denen die „In-Group“ negative Emotionen gegenüber der „Out-Group“ schürt, haben eine viel stärkere Wirkung, als wenn man nur die Vorzüge der „In-Group“ preist.

Selbstlob wirkt nicht

Um das festzustellen, haben die Forscher 2,7 Millionen Tweets und Facebook-Postings durchforstet, die Nachrichtenmedien oder Kongressabgeordnete publiziert haben. Das Ergebnis: Eine Anspielung auf den politischen Gegner erhöht die Wahrscheinlichkeit einer Verbreitung um 67 Prozent. Jedes Wort, das eine negative Emotion wie Verachtung oder Hass signalisiert, erhöht die Chance um 14 Prozent, jeder Ausdruck moralischer Entrüstung um zehn Prozent. Jedes positive Wort hingegen senkt die Lust aufs Verbreiten des Gelesenen um fünf Prozent – „perverse incentives“ heißt das in der Fachsprache der Psychologen.

Wenn es also Facebook bei einer Änderung seines Algorithmus vor drei Jahren wirklich darum ging, durch „tieferes“ Engagement und mehr Reaktionen die „Menschen zusammenzubringen“, dann ging der Schuss ordentlich nach hinten los. Auf jeden Fall profitieren die Plattformen von viralen Inhalten, weil sie durch sie mehr Anzeigenerlöse erzielen. Und politische Kampagnen, ob von Parteien oder Aktivisten, brauchen Virales, um erfolgreich zu sein. Wie kommt man da raus?

Die Plattformen müssten positive Inhalte belohnen und negative bestrafen, meinen die Autoren. Aber das wird wohl ein frommer Wunsch bleiben – oder, aus Sicht der Meinungsfreiheit, ein durchaus unfrommer.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.06.2021)

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