Brexit: Kein Erfolg, keine Reue

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Die Briten sind mit dem britisch-europäischen Handelsabkommen unzufrieden, haben sich aber mit dem Leben außerhalb der EU abgefunden.

London. Mustn't grumble – nur nicht jammern. Diese alte britische Devise gilt offenbar auch, was die Haltung der Briten zum Brexit anbelangt. Diesen Schluss lässt jedenfalls ein Bericht der Thinktanks What UK Thinks und UK in a Changing Europe sowie des National Centre for Social Research zu, der am gestrigen Dienstag publiziert wurde. Der Sukkus: Die Mehrheit der Briten ist zwar mit dem Vollzug des EU-Austritts nicht zufrieden, hat sich aber mit dieser suboptimalen Lage abgefunden. Der Anlass der Veröffentlichung ist der nahende fünfte Jahrestag des Brexit-Referendums vom 25. Juni 2016 – damals hatten 52 Prozent der Briten für den Austritt aus der EU gestimmt und 48 Prozent für den Verbleib in der Union.

Die Spaltung der britischen Gesellschaft in zwei annähernd große Blöcke hält auch fünf Jahre nach dem Referendum an, stellt der Meinungsforscher John Curtice, der Koordinator der Studie, fest. Zwar hat sich die Mehrheit der Stimmen im Lauf der vergangenen Jahre leicht Richtung EU-Verbleib verschoben, doch sie blieb stets innerhalb der statistischen Schwankungsbreite. Und auch wenn es demnächst eine Abstimmung über einen Wiederbeitritt geben sollte (was politisch ohnehin nicht infrage kommt), würde diese vermutlich nicht anders ausgehen als das ursprüngliche Referendum – Curtice geht nämlich für diesen hypothetischen Fall von einer knappen Mehrheit gegen die EU aus.

Diese verfestigte Anti-EU-Haltung hat allerdings wenig bis gar nichts mit der tatsächlichen Umsetzung des Brexit zu tun – der Austritt wurde formell am 31. Jänner 2020 vollzogen, nach einer elfmonatigen Übergangsfrist wurden die Verbindungen zum EU-Binnenmarkt am 1. Jänner 2021 gekappt. Mit dem Handels- und Partnerschaftsabkommen, das London und Brüssel im Lauf des Jahres ausverhandelt hatten, sind die allerwenigsten Briten zufrieden: Nur 21 Prozent der Befragten hielten den Deal für gut, 36 Prozent für schlecht. Selbst unter den deklarierten Austrittsbefürwortern lag die Zufriedenheit lediglich bei einem Drittel.

Johnson muss jetzt liefern

Für Premierminister Boris Johnson, der den Brexit maßgeblich betrieben hat, ist die Studie aus einem weiteren Grund besorgniserregend. Seine Anhänger erwarten nichtsdestotrotz handfeste Vorteile vom Austritt aus der EU: Eine knappe Mehrheit der Befragten, die 2016 für den Brexit gestimmt hatten, geht nämlich davon aus, dass die Einwanderung nach Großbritannien signifikant zurückgehen und sich die Lage der britischen Wirtschaft ebenso signifikant verbessern wird.

Folgt man der Einschätzung der Experten, dürfte keine dieser Erwartungen eintreten. Durch die Coronapandemie, die zeitgleich mit dem EU-Austritt Anfang 2020 ausgebrochen war, wurde diese Erwartungshaltung neutralisiert. Doch nun, da der Kampf gegen die Seuche voranschreitet, dürfte der Ruf nach konkreten Brexit-Benefits wieder lauter werden, erwartet Studienautor Curtice.(la)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 23.06.2021)

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