Gesundheit

Kompetenz als beste Medizin

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Transparenz und Nachvollziehbarkeit sind während der Coronakrise wichtiger denn je. Daten gibt es zur Genüge, doch was helfen die vielen Informationen, wenn sie nicht verstanden werden?

Was fehlt, ist Zeit. Wenn Ingrid Hobusch Patienten in einer Diabetesambulanz im Gesundheitszentrum in Wien-Landstraße betreut, müssen viele Fragen schnell geklärt werden. „In zehn Minuten müssen wir einem Patienten sagen, welche Medikamente er wie einnehmen soll, aber sollen ihm auch etwas über seine Erkrankung erklären. Das geht sich furchtbar schlecht aus“, sagt die Ärztin für Innere Medizin.

Seit einigen Monaten muss eine weitere Frage Platz im knappen Zeitplan finden: „Ich frage alle Patienten, die in die Ambulanz kommen, ob sie schon geimpft sind. Erstens, um aufklären zu können, falls Bedenken da sind, aber auch, um die Patienten herauszufiltern, die es technisch nicht schaffen, sich anzumelden“, sagt sie.

Als Diabetiker haben ihre Patienten ein erhöhtes Risiko, schwer an Covid-19 zu erkranken. Skepsis gegenüber der Impfung gibt es dennoch. Geschuldet ist sie oft der Sorge vor Nebenwirkungen der Vakzine. „Aber es gibt auch die Gruppe, die meint, dass Corona nur ein Kinderschnupfen ist“, so Hobusch, die seit März auch in einer Impfstraße der Österreichischen Gesundheitskasse in Wien tätig ist. Wer dort zu seinem Termin kommt, hat sich bereits für eine Impfung gegen das Coronavirus entschieden. In der Impfstraße wäre die Zeit für genauere Aufklärung ohnehin zu knapp: Zwei Minuten bleiben Ingrid Hobusch pro Patient. Rund 120 Menschen verabreicht sie jeden Tag ein Vakzin.

Personalmangel

Es muss also schnell gehen im österreichischen Gesundheitssystem, denn Personalmangel herrscht in vielen Bereichen nicht erst seit Beginn der Pandemie. Für Patienten bedeutet das, nicht alle ihre Fragen mit medizinischem Fachpersonal abklären zu können. Sie müssen also selbst Informationen zusammentragen, um die eigene Erkrankung oder Wirkungen und Nebenwirkungen einer Corona-Impfung besser zu verstehen. An Möglichkeiten, sich Wissen anzueignen, fehlt es nicht im digitalen Zeitalter. Doch um sich im wachsenden Dschungel aus seriösen und fragwürdigen Informationen zurechtzufinden, braucht es bestimmte Fähigkeiten: Gesundheitskompetenz lautet die Devise.

Unter Gesundheitskompetenz versteht man die Fähigkeiten von Menschen, relevante Gesundheitsinformationen finden, verstehen, beurteilen und anwenden zu können, und nicht das konkrete Wissen über Krankheiten oder Behandlungen. „Es geht darum, dass man – wenn man etwas zu einem Gesundheitsthema wissen will – diese Informationen findet und sie im Alltag nutzen kann“, sagt Robert Griebler, Gesundheitssoziologe bei der Gesundheit Österreich GmbH.

Griebler hat 2020 österreichweit Daten dazu erhoben, wie fit die Österreicher in dieser Hinsicht sind. Im Juli 2021 sollen die Ergebnisse des Health Literacy Survey 2019 (HLS-19) vorliegen. Im HLS-19 wird in 17 europäischen Ländern die Gesundheitskompetenz ermittelt. Die Ergebnisse der ersten Erhebung im Jahr 2011 (HLS-EU) fielen für Österreich durchwachsen aus: Jeder Zweite hatte Schwierigkeiten, mit Gesundheitsinformationen adäquat zurechtzukommen. Menschen mit geringer formaler Bildung hatten größere Probleme. Zusätzlich kommt hinzu, dass diese Menschen vermehrt Informationskanäle nutzen, die das Potenzial haben, falsche Informationen zu verbreiten, wie die sozialen Medien.
Der Bericht zum HLS-19 soll zeigen, wie sich die Gesundheitskompetenz in Österreich aktuell darstellt und ob es neue Problemfelder gibt. Im Health Literacy Survey 2019 wurde neben der allgemeinen Gesundheitskompetenz auch gezielt nach spezifischen Bereichen gefragt, etwa nach der digitalen Gesundheitskompetenz. Im Internet findet man heutzutage sehr viele Informationen, was für Robert Griebler nicht immer ein Vorteil ist.

„Wenn die Menschen weniger Informationen hätten, die dafür qualitativ hochwertiger wären, wäre das Leben wahrscheinlich leichter. Ich würde mich auf einer Speisekarte mit drei Gerichten leichter zurechtfinden als auf einer mit 20 Seiten”, sagt Griebler. Die quantitative Verfügbarkeit von Informationen bedeutet somit nicht automatisch, dass auch die Gesundheitskompetenz in der Gesellschaft steigt. „Informationen können eine wichtige Waffe sein, wie man in der Coronasituation gesehen hat, aber sie werden oft instrumentalisiert als diese eine Information, die man befolgen sollte“, sagt Griebler. Es ist nicht im Sinne der Gesundheitskompetenz, dass man eine Information bekommt und dieser sofort folgt. Stattdessen soll man diese für sich bewerten. In Österreich ist bei den Maßnahmen zur Stärkung der Gesundheitskompetenz noch Luft nach oben.

Schulfach in Finnland

Finnland hat etwa „Health Education” seit 2001 als verpflichtendes Schulfach etabliert. Das würde Robert Griebler aber nicht priorisieren. Die Schule könne bei der Gesundheitskompetenz einen wichtigen Grundstein legen, indem sie den Schülern rechnen, lesen sowie einen gesicherten Umgang mit digitalen Medien beibringt. „Wenn Sie bei einer Nährstofftabelle auf einer Müslipackung rechnerisch keine Relationen herstellen können, dann fällt es Ihnen schwer, den Unterschied zwischen den Nährwerten einer Packung und einer Schüssel zu erkennen“, sagt Griebler. In der Schule allein ist das Problem allerdings nicht zu lösen, denn als große Herausforderung sieht er das familiäre Umfeld. „In der Familie werden viele Grundsteine gelegt und man kann dort nicht leicht intervenieren. Man kann aber die Lebenswelt der Menschen mit Informationsangeboten verändern.“

Auch das Gesundheitspersonal kann darauf geschult werden, verständlicher mit den Patienten zu kommunizieren und damit das Bewusstsein für die eigene Gesundheit zu schärfen. Dafür bräuchte es ausreichend Personal und Zeit. Genau daran mangelt es zu oft im österreichischen Gesundheitssystem.

Information

Dieser Artikel ist in Kooperation mit dem Austrian Health Forum (Styria Ethics 2021) entstanden. Geschrieben wurde er von Studierenden der FH Joanneum in Graz.

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