Rembrandt

Nach über 300 Jahren: Die "Nachtwache" ist wieder vollständig

Das Bild in seiner Original-Größe.
Das Bild in seiner Original-Größe.(c) REUTERS (PIROSCHKA VAN DE WOUW)
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In einer spektakulären Aktion rekonstruierte das Rijksmuseum die fehlenden Stücke von Rembrandts Meisterwerk. Die fehlenden Stücke sind nun zu sehen.

Die "Operation Nachtwache" war nicht irgendeine Restaurierung: Rembrandts Meisterwerk wurde vor den Augen der globalen Öffentlichkeit über mehrere Jahre rekonstruiert. Die Besucher im Rijksmuseum von Amsterdam bestaunten seit 2019 immerhin 25 Kunsthistoriker, Konservatoren und Restaurateure in einem gläsernen Atelier, das ein französischer Architekt eigens zu diesem Zweck entworfen hatte.

Nun ist Rembrandts "Nachtwache" wieder vollständig, nach über 300 Jahren. Mithilfe moderner Technik rekonstruierte das Rijksmuseum die fehlenden Stücke und präsentierte am Mittwoch das mehr als 20 Quadratmeter große Gemälde in seinem originalen Format. Die Größe war auch das Problem: Rembrandt hatte das Gemälde von der Amsterdamer Schützengilde 1642 fertiggestellt, 1715 zog es in ein anderes Gebäude um. Weil es nicht an den vorgesehenen Platz passte, wurden an allen Seiten Stücke abgeschnitten. An der linken Seite waren etwa drei Figuren weggefallen.

Man sieht die rekonstruierten Teile deutlich. Links.
Man sieht die rekonstruierten Teile deutlich. Links.(c) REUTERS (PIROSCHKA VAN DE WOUW)

Das Gemälde habe "viel mehr Dynamik und Bewegung", sagte der Direktor des Rijksmuseums, Taco Dibbits. "Es ist fantastisch, nun mit eigenen Augen zu sehen, wie Rembrandt die "Nachtwache" gemeint hatte.“ Drei Monate lang sollen nun die rekonstruierten Teile hängen bleiben. Auf der Grundlage der Ergebnisse muss eine umfassende Restaurierung folgen.

Und rechts.
Und rechts.(c) REUTERS (PIROSCHKA VAN DE WOUW)

Warum ist das Bild eine solche Ikone?

Das letzte Mal brachte man die Nachtwache noch hinter Vorhang auf Vordermann. 1975, nach der Messerattacke eines holländischen Lehrers, der nach eigener Angabe von Gott den Auftrag zur Zerstörung des Tableaus erhalten hatte. Schlichter motiviert war der Marinekoch, der 1911 die Leinwand mit einem Messer zerschlitzte: Er wollte damit nur gegen seine Entlassung protestieren. Glimpflich verlief vor knapp 30 Jahren ein Sprühangriff mit Schwefelsäure, die nicht unter den Lack drang.

Was aber macht das barocke Bild von 1642 zu einer solchen Ikone, dass sich auch der blanke Wahn an ihm entzündet? Rembrandt missachtete seinen Auftrag: Er malte kein statisches Gruppenporträt mit geschönten Figuren, sondern eine bewegte Szene mit Alltagsmenschen - hässlich und anmutig, würdevoll und eingebildet, fröhlich und traurig. Der Kapitän und sein Leutnant sammeln die Schützen und Bürger, um gemeinsam auszurücken.

Übrigens am helllichten Tage; der irreführende Name hat sich erst später eingebürgert, als der Lack nachdunkelte. Einer lädt sein Gewehr, ein zweiter feuert schon los, ein Dritter bläst das restliche Pulver aus der Zündpfanne - so lebensecht wie möglich. Dazwischen ein Mädchen, wohl das Maskottchen der Truppe, und ein bescheidener Gastauftritt des Malerfürsten selbst, von dem nur ein Auge und ein Barett zu sehen sind.

Durch seine mitreißende Bewegtheit ist die "Nachtwache" nicht nur ein stolzes Sinnbild für das damals fortschrittlichste Land Europas, das sich gerade vom Joch der spanischen Habsburger befreit hat, sondern auch ein Aufbruch für die Kunstgeschichte. Und ein "Tribut an das Menschsein", wie der damalige US-Präsident, Obama, das Werk bei seinem Besuch 2014 nannte, sichtlich bewegt vom "schönsten Hintergrund, vor dem ich je gesprochen habe": "Es steht für einen tiefen Glauben an die Gesellschaft, dafür, dass wir die Welt gemeinsam gestalten und dabei jeder seine Verantwortung hat."

(red./Karl Gaulhofer)

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