Kolumne zum Tag

Bob Marley und der Vollmond im Saharastaub

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++ THEMENBILD ++ SALZBURG: VOLLMOND / WETTERAPA/BARBARA GINDL
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Reggae-Musik tönt aus der Wohnung gegenüber und jemand singt laut mit. So lange war niemand fröhlich, aber zur gewohnten Beschallung darf Bob Marley dennoch nicht werden.

Gestern war Vollmond und die Kombination mit der Hitze, dem Saharastaub, den Gewittern barg eine gewisse Spannung in sich. Aber irgendwas ist immer, wie es so schön heißt, also ist der anklagende Blick in den Himmel so etwas wie eine Notlüge, aber es hilft zumindest im Moment. Der Mond war's. Der Blechschaden am Auto ist außerdem klitzeklein, eigentlich nur ein Kratzer. Sieht man fast gar nicht. Nur wenn man genau hinsieht. „Dann schau nicht hin“, sagt die Kollegin.

Das erinnert einen an den Physiotherapeuten, dem man lange den Schmerz erklärt, wenn man den rechten Arm nach hinten oben in einem gewissen Winkel beugt. „Dann machen Sie diese Bewegung nicht“, sagt er und empfiehlt etliche Übungen, ehe auszuprobieren, ob es besser geworden ist. Und was macht man? Immer wieder schauen, ob es noch immer weh tut.

Kinder machen das auch gerne, fasziniert überprüfen, ob noch Blut aus einer Wunde kommt, wenn man fest genug quetscht. Vielleicht ist es so etwas wie eine automatische Bestandsaufnahme, die man sich schwer abgewöhnen kann. An einem Wackelzahn rütteln also auch Erwachsene immer noch herum, er zeigt sich nur in einem anderen Gesicht.

Apropos immer noch. Die Jugendlichen in der Wohnung gegenüber spielen Bob Marley und der hellhörigen Stadt ist es zu verdanken, dass man jedes Lied mitbekommt. Es ist wie chinesische Folter, jeder Tropfen ein Ton. Er singt von den „Three birds“, die süße Lieder zwitschern. „Don't worry 'bout a thing. Cause every little thing gonna be alright“. Meine Türkentauben machen „uh-huh-huuh“ dazu und die grantige Krähe mischt sich auch noch ein. Irgendeiner der Burschen singt lautstark „this is a message to you-ou-ou“ und weil so lange schon niemand so fröhlich gesungen hat, ist es ausnahmsweise ok, eines der meistgespielten Lieder der Welt noch einmal zu ertragen, aber wenn es allen wieder besser geht, nicht nur kurz, dann müssen wir ernsthaft darüber reden.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.06.2021)

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