Jérôme Kerviel wird am Dienstag zu fünf Jahren Haft verurteilt. 4,9 Milliarden Euro schuldet er seinem frühren Arbeitgeber, der Großbank Société Générale (SG).
Paris. Das Urteil ist von exemplarischer Strenge: Der 33-jährige Ex-Trader Jérôme Kerviel wurde gestern, Dienstag, zu fünf Jahren Haft verurteilt, zwei davon sind auf Bewährung ausgesetzt. Neben einer Buße von 375.000 Euro soll er seinem früheren Arbeitgeber, der Großbank Société Générale (SG), den gesamten finanziellen Schaden von 4,9 Mrd. Euro ersetzen. Das ist natürlich nur symbolisch zu verstehen: Da Kerviel gegenwärtig als Informatiker gerade 2500 Euro pro Monat verdient, müsste er fast 170.000 Jahre arbeiten, um die Summe abzustottern.
Der Ex-Banker, dem oft eine Ähnlichkeit mit Tom Cruise nachgesagt wird, hatte zunächst ziemlich selbstsicher im Saal des Pariser Strafgerichts Platz genommen. Als sich während der Urteilsverlesung ein Schuldspruch abzeichnete, wurde er zusehends nervös. Nach Bekanntgabe des Strafmaßes wandelte sich die Nervosität in Niedergeschlagenheit.
Kerviels Anwalt Olivier Metzner kündigte umgehend Berufung an. Er gab sich empört über das Urteil, weil dieses die Bank und Kerviels Vorgesetzte in keiner Weise für die Riesenverluste mitverantwortlich mache. Als Trader durfte Kerviel eigentlich höchstens 125 Mio. Euro riskieren, trotzdem spekulierte er im Namen der SG in den Jahren 2007 und 2008 mit Summen von bis zu 50 Mrd. Euro und brachte die Bank damit an den Rand des Ruins.
Keine Mitschuld der Bank
Kerviel hatte im Prozess zwar Irrtümer eingeräumt, für seine Spekulationen jedoch seine Vorgesetzten verantwortlich gemacht: Diese hätten nicht nur von seinen Geschäften gewusst, sie hätten ihn sogar dazu ermutigt. Ihm sei es lediglich darum gegangen, Geld für die Bank zu verdienen. So versuchte Kerviels Anwalt Metzner vergeblich geltend zu machen, dass Kerviels Vorgesetzte die Spekulationen stillschweigend geduldet hätten, weil einige an seinen anfänglichen Gewinnen mitverdienten.
Das Gericht konnte er damit nicht überzeugen. Kerviel wurde in allen drei Anklagepunkten – Unterschlagung, Betrug und Fälschung von Computerdaten – für schuldig befunden. Dem Arbeitgeber hatten die Richter hingegen nichts vorzuwerfen: „Die Société Générale hatte keine Kenntnis dieser betrügerischen Aktivitäten und keinen Grund, Verdacht zu schöpfen“, sagte der Gerichtspräsident. Kerviel hingegen habe „vorsätzlich seine Befugnisse als Trader überschritten“ und dabei die Spekulationsgeschäfte und ihr Ausmaß verborgen. Er sei ihm gelungen, die ihm bekannten Kontrollmethoden in betrügerischer Weise zu umgehen oder auszutricksen.
Der Ex-Banker Kerviel, der eine Großbank auf so spektakuläre Art und Weise betrogen hat, fasziniert viele Landsleute. Ein Spielfilm über den Finanzskandal in der Société Générale ist bereits geplant, die Hauptrolle soll Kerviel angeblich selbst spielen. Seine Filmgage dürfte dann allerdings als Anzahlung zur Begleichung seiner Schuld in der Kasse der SG landen.
("Die Presse", Print-Ausgabe, 6. Oktober 2010)