Unwetter

Mehrere Tote, 200 Verletzte und verwüstete Dörfer nach Tornado an Grenze zu Österreich

Aftermath of rare tornado in Czech Republic
Aftermath of rare tornado in Czech RepublicREUTERS
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In Tschechien nahe der niederösterreichischen Grenze hat ein Tornado verheerende Schäden hinterlassen. Menschen wurden dabei getötet, zahlreiche verletzt. 1600 Einsatzkräfte waren in Niederösterreich unterwegs.

Ein mutmaßlicher Tornado hat am Donnerstag im Südosten Tschechiens eine Spur der Verwüstung hinterlassen. Mindestens fünf Menschenleben habe das Unwetter gefordert. Das sagte eine Sprecherin der Rettungskräfte am Freitag im Fernsehsender CT. Rund 200 Menschen wurden verletzt, davon mussten knapp 60 stationär im Krankenhaus behandelt werden. Auch Helfer aus Österreich waren noch in der Nacht vor Ort.

Der Tornado hatte am Donnerstagabend sieben Dörfer in der Region Südmähren verwüstet. Häuser wurden zerstört, Dächer abgedeckt, Stromleitungen niedergerissen und Autos umhergeschleudert. Die Suche nach möglichen Verschütteten dauerte an. Hunderte Feuerwehrleute gingen in den zerstörten Gemeinden von Haus zu Haus. Spürhunde halfen bei der Suche. Aus anderen Teilen des Landes machte sich weitere Verstärkung auf den Weg. Die Armee schickte Soldaten mit schwerer Technik.

Die Situation dort sei wie in einem Krieg, sagte Gesundheitsminister Adam Vojtech im TV. Mehrere Busse seien bei dem Unwetter in Südmähren nahe der Grenze zu Österreich umgestürzt, berichtete der Fernsehsender CT. Alle verfügbaren Einsatzkräfte seien auf dem Weg in die Region, so Innenminister Jan Hamacek. "Alles, was Arme und Beine hat, fährt dorthin."

Mehrere Rettungsstaffeln mit Hunden waren unterwegs ins Einsatzgebiet, um in Gebäuden nach möglichen Verschütteten suchen. Die Feuerwehr ging von Haus zu Haus. "Hier herrscht großes Chaos, große Panik", sagte ein Augenzeuge in der Gemeinde Luzice (Luschitz) dem Sender CT. Viele Häuser sollen einsturzgefährdet sein. Die Polizei sperrte die Zufahrtswege zu mehreren Orten, um Schaulustige fernzuhalten.

In den sozialen Medien zeigen Bilder und Videos die angerichtete Verwüstung.

Der stellvertretende Bürgermeister des Dorfes Hrusky sagte der Agentur CTK, dass der halbe Ort dem Erdboden gleichgemacht worden sei. In den Verwaltungsbezirken Breclav und Hodonin fielen nach Berichten in den sozialen Medien Hagelkörner mit der Größe von Tennisbällen. Die Autobahn D2, die von Brünn (Brno) nach Breclav führt, war nicht befahrbar, weil Hochspannungsleitungen auf die Fahrbahn gestürzt waren.

Die Rettungsarbeiten und die Suche nach möglichen Verschütteten dauerten die ganze Nacht über an. Aus anderen Teilen des Landes machte sich weitere Verstärkung auf den Weg. Der tschechische Ministerpräsident Andrej Babis wollte das Unglücksgebiet am Nachmittag nach seiner Rückkehr aus Brüssel besuchen. Die Regierung versprach schnelle finanzielle Hilfe für die Betroffenen, von denen viele das Dach über dem Kopf verloren haben.

Viele Einwohner der betroffenen Gemeinden standen unter Schock. "Auf einmal habe ich ein merkwürdiges Dröhnen gehört, als ob ein Zug näherkommen würde", sagte ein Augenzeuge der Zeitung "Pravo". "Dann begann die Hölle, alles flog herum." Sein Haus habe kein Dach mehr, keine Zimmerdecke, keine Fenster, berichtete ein anderer. Die Region an der Grenze zu Niederösterreich ist als Weinbaugebiet bekannt.

Helfer aus Österreich: „Erdrückende Bilder"

Das niederösterreichische Rote Kreuz war noch in den späten Abendstunden mit rund 40 Fahrzeugen und mehr als 100 Helfern in den Südosten Tschechiens ausgerückt. Auf den Weg machten sich nach Angaben von Sprecherin Sonja Kellner auch drei mit Feldbetten und Decken beladene Lkw. Versorgt wurden von den Niederösterreichern etwa 30 Menschen, eine Person wurde in ein Krankenhaus transportiert. Abgeschlossen wurde der Einsatz seitens des Roten Kreuzes noch in der Nacht auf Freitag. "Die Kräfte vor Ort waren soweit, dass sie übernehmen konnten", sagte Kellner.

Am Tag danach sprach einer der Helfer von „erdrückenden Bilder“. Nur wenige Stunden, nachdem ein Tornado über das Gebiet hinweggefegt war, war Patrick Wolfram mit seinen Kollegen des Roten Kreuzes in der Gemeinde Hrusky (Birnbaum) und half bei der Versorgung der Verletzten. "Häuser und Infrastruktur waren völlig zerstört", beschrieb der Weinviertler. "Man kennt das sonst nur aus den Vereinigten Staaten, aus den klassischen Hurrikan-Gebieten", befand Wolfram. Nun trug sich der Katastrophenfall aber sozusagen vor der eigenen Haustür zu. "Nicht auszumalen, wenn das ein paar Kilometer Luftlinie weiter weg passiert wäre", spielte der erfahrene Sanitäter auf die Nähe zu Niederösterreich an.

Zwei Opfer nach Wien geflogen

Die Christophorus-Teams der halfen laut Ralph Schüller, Sprecher der ÖAMTC-Flugrettung, bei der Bergung, nachdem der Tornado einen Bus gut 70 Meter weit von der Straße in ein Feld gefegt hatte. Dort habe es wohl Tote und etliche Schwerverletzte gegeben, zwei der Opfer wurden zur medizinischen Versorgung nach Wien geflogen. Es handle sich um einen etwa 50-Jährigen, offenbar der Buschauffeur, sowie um ein 15-jähriges Mädchen. Beide seien schwer verletzt, aber nicht in Lebensgefahr. Der Unfallort lag bei Mikulčice (deutsch Mikultschitz, auch Nickoltschitz, Nikolschitz), ein Dorf mit rund 2.000 Einwohnern in der Region Jihomoravský kraj.

Tennisballgroße Hagelkörner

Den ganzen Abend zogen schwere Sommergewitter durch Südmähren, das für seine Weinanbaugebiete bekannt ist. Die Notrufleitungen waren überlastet. In den Verwaltungsbezirken Breclav (Lundenburg) und Hodonin fielen nach Berichten in den sozialen Medien tennisballgroße Hagelkörner. Am Schloss Valtice (Feldsberg), das zum UNESCO-Weltkulturerbe zählt, entstand ein Millionenschaden. An dem Barockbau aus dem 17. Jahrhundert barsten zahlreiche Fensterscheiben

Die Autobahn D2, die von Brno (Brünn) nach Breclav führt, war nicht befahrbar, weil eine Hochspannungsleitung auf die Fahrbahn gestürzt war. Rund 32.000 Haushalte waren ohne Elektrizität. Die Regierung in Prag versetzte Kräfte der Armee für einen möglichen Hilfseinsatz in Bereitschaft. Das Rote Kreuz Niederösterreich war laut Sprecher Andreas Zenker mit 32 Fahrzeugen in Tschechien im Einsatz. Der ÖAMTC entsandte die Notarzthubschrauber "Christophorus 2" und "Christophorus 9". Es war davon die Rede, dass Verletzte aus dem Nachbarland ins Landesklinikum Mistelbach gebracht werden könnten. Hinsichtlich möglicher Patienten wurden zudem alle weiteren Kliniken im Weinviertel, jene in St. Pölten und Wiener Neustadt sowie Wiener Krankenhäuser vorinformiert, erfuhr die APA. Hilfe bot auch die benachbarte Slowakei an.

„Weltuntergangsstimmung“ in Hollabrunn

Auch in Österreich waren Unwetter zu spüren. Insgesamt standen 1.600 Mitglieder von 110 Feuerwehren im Einsatz, berichtete das Landeskommando Freitagfrüh. Die Hotspots lagen im Wald- und Weinviertel. Hauptsächlich betroffen waren die Bezirke Hollabrunn, Mistelbach, Gmünd, Horn, Zwettl und Waidhofen a. d. Thaya. Tennisballgroße Hagelkörner beschädigten Dutzende Dächer und Autos zum Teil stark. Man spreche von "Weltuntergangsstimmung", sagte Franz Resperger vom Landeskommando Niederösterreich. Im Laufe des Abends wurde Schrattenberg bei Poysdorf (Bezirk Mistelbach) von Ausläufern einer mächtigen Gewitterzelle in Tschechien getroffen.

Resperger sprach von mehr als 300 Hausdächern, die durch den Hagel zerstört worden seien. Starkregen setzte zahlreiche Objekte unter Wasser, orkanartige Böen entwurzelten dutzende Baume und rissen Telefon- und Stromleitungen zu Boden. In Wildendürnbach (Bezirk Mistelbach) ging gegen 0.30 Uhr durch Blitzschlag eine Scheune in Flammen auf.

Dächer „durchlöchert"

Besonders wild ging es in den Bezirken Hollabrunn und Mistelbach zu. "Alt eingesessene Bewohner und erfahrene Feuerwehrleute erzählten, dass sie ein derartiges Unwetter noch nie erlebt hätten", schilderte Resperger. Hausdächer seien vom Hagel "regelrecht durchlöchert" worden. Heruntergefallene und kaputte Dachschindeln bereiteten Probleme auf den Straßen. Glashäuser und Fensterscheiben gingen zu Bruch, auch zahlreiche Autos wurden in Mitleidenschaft gezogen. Alleine im Bezirk Hollabrunn waren rund 800 Mitglieder von 50 Feuerwehren über mehrere Stunden hinweg gefordert. Dort führte nach Angaben des Bezirkskommandos auch die Pulkau Hochwasser.

In der mehr als 800 Einwohner zählenden Grenzgemeinde Schrattenberg bei Poysdorf (Bezirk Mistelbach) hat der Ausläufer des auf tschechischer Seite wütenden Tornados rund die Hälfte aller Hausdächer beschädigt bzw. abgedeckt. Noch in den Abendstunden wurden vom Landesfeuerwehrverband Abdeckplanen aus Tulln nach Schrattenberg transportiert. Mit diesen schützten die Helfer die kaputten Dächer vor weiteren Wassereinbrüchen.

++ HANDOUT ++ NIEDEROeSTERREICH: UNWETTER IN SCHRATTENBERG BEI POYSDORF (BEZIRK MISTELBACH)
++ HANDOUT ++ NIEDEROeSTERREICH: UNWETTER IN SCHRATTENBERG BEI POYSDORF (BEZIRK MISTELBACH)APA/FEUERWEHR

Durch die Unwetter mit Hagel und Sturm sind Millionenschäden entstanden. Allein in der Landwirtschaft beläuft sich der Gesamtschaden in Ober- und Niederösterreich laut Hagelversicherung auf rund 28 Millionen Euro. In der Steiermark entstanden weitere Schäden in der Höhe von 600.000 Euro.

Mit 19 Millionen Euro gab es den höchsten Schaden in Niederösterreich. "Vom Getreide bis zum Wein entstand auf einer Gesamtfläche von rund 26.000 Hektar ein Schaden. Oftmals ist die Ackerkultur gar nicht mehr erkennbar", bilanzierte Josef Kaltenböck, Landesleiter Niederösterreich-Ost der Hagelversicherung. In Oberösterreich belief sich der Gesamtschaden auf neun Millionen Euro. "Betroffen sind alle landwirtschaftlichen Kulturen, Wintergerste ist die Hauptkultur - das Schadensausmaß reicht bis hin zu einem Totalausfall", so der oberösterreichische Landesleiter der Hagelversicherung, Wolfgang Winkler. Josef Kurz, Landesleiter in der Steiermark, teilte mit, dass dort eine landwirtschaftliche Fläche von fast 9.000 Hektar betroffen war.

(Red./APA)

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