Fahrbericht

Hubraum wie ein Auto: Wie man aus dem Vollen schöpft

Die BMW R5 von 1936 nicht nur als stilistisches Vorbild der R18: Der mächtige Boxer treibt ein fahrfreudiges Restmotorrad an.
Die BMW R5 von 1936 nicht nur als stilistisches Vorbild der R18: Der mächtige Boxer treibt ein fahrfreudiges Restmotorrad an.Die Presse/Clemens Fabry
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Hubraum (und Preis) wie ein Auto – dabei ist die BMW R18 immer noch ein Motorrad. Und was für eins.

Wien. Es gibt Motorräder mit noch mehr Hubraum, aber nicht viele. Vermutlich hat Triumph mit der dreizylindrigen Rocket III den diesbezüglichen WM-Titel auf alle Zeiten gepachtet. Mit 2,3 Litern sollte es ja wirklich genug sein.

Aber auch mit den 1802 Kubikzentimetern der R18 – Rekord immerhin für einen Boxermotor auf zwei Rädern – ist BMW in einen sehr exklusiven Klub aufgestiegen. Es ist wohl kein Zufall, dass man sich mit diesem Maß auf Augenhöhe mit Harleys größtem Gebinde gehievt hat: Im Fach der großen Cruiser, in dem die Bayern debütieren, sind klare Ansagen gefragt.

Zumal es kaum eine prominentere Bauart gibt, mächtig viel Brennraum spazieren zu führen – monumental ragen die zwei Zylinder des Boxers in den Fahrtwind, während sich Harleys V2 brav in ihre Rahmen falten. Für Aufsehen ist beim Auftritt einer R18 also gesorgt.

Born to Customize

Dennoch, ein Showbike hatte man nicht im Sinn, auch wenn die R18 für Customizing-Abenteuer geradezu angelegt ist: Dass man sie mit allerlei Anbauteilen leicht modifizieren kann, wurde etwa bei der Konzeption der Schnittstellen für Hydraulikleitungen und Kabelbaum berücksichtigt. Aber wie agil kann es werden mit 345 Kilogramm Lebendgewicht?

Gewicht ist auf einem Motorrad abseits der Rennstrecke besser verhandelbar, als man gemeinhin glauben möchte – diesbezüglich werden wir noch Überraschungen erleben, wenn sich die Zunft wirklich elektrifizieren sollte. Einstweilen stehen dem noch Reichweite und Ladezeiten entgegen, aber mit dem Gewicht von Akkus wird man umgehen können.

Ganz gewiss kann das die R18 mit ihren Kilos. Der mächtige Boxer verlegt den Schwerpunkt der Fuhre gefühlt 20 Zentimeter unter den Asphalt, das wirkt Wunder fürs Handling. Kaum zu beeindrucken ist die massive Bremsanlage mit zwei 300-mm-Scheiben vorn und einer solchen hinten, dergleichen bekommt man nicht oft zu sehen. Der Lenker mag übertrieben breit wirken, aber ergonomisch ist er goldrichtig. Und schließlich das Element, das alles zusammenhält: der Rahmen, die klassische Schwachstelle dicker Cruiser, weil man ihm den Hang zum Verwinden nicht so leicht abgewöhnt. Man stelle sich eine lang gezogene, schnell gefahrene Kurve vor, in der man von einer oder einer ganzen Reihe von Bodenwellen überrascht wird – üblicherweise kann man dann nur hoffen, genügend Platz für das nachfolgende Schwingung-Rodeo zu haben. Auf der R18 kam es dazu nie, im Gegenteil, das Zutrauen, die Maschine forciert zu bewegen, kann kaum zu groß sein. Hat man einmal in den Swing gefunden, lässt sich die R18 schneller, dabei trotzdem sicherer reiten, als man das vom Genre der Motor-Sofas erwarten würde.

Der lange Radstand – plus 3,6 Zentimeter verglichen mit Hondas Gold Wing etwa – beruhigt die Gemüter, und sollte die Linie doch nicht so sauber gehalten werden, zieht man sich mit einer paar Millimetern am Gasgriff jederzeit aus der Affäre. Das Erlebnis von Schub, von schierem Drehmoment – 150 Newtonmeter hat man zwischen 2000 und 4000 Touren an der Hand – wurde noch auf kaum einem Vehikel überzeugender geboten. Ohne lästige Vibrationen packt der 1800er die Maschine an der Kardanwelle, gleichgültig, welcher Gang eingelegt ist, im Zweifelsfall gern der höhere. Es macht aber auch Spaß, die Drehzahl zeitweise im Bereich der Nennleistung zu halten und so durch schnelle Kurvenfolgen zu turnen. Das Kratzen der Fußbretter in der Schräglage – schnell hat man sich daran gewöhnt, das Metallkügelchen darunter war bald zurechtgeschliffen. Keine Ahnung, ob typische Owner ihre R18 so bewegen werden – aber man kann es.

Weil der Platz ausgeht, Raffinessen von Styling und Verarbeitung auszuloben, hier noch Kritik: Es bei einem Rundinstrument mit Mini-Display zu belassen, ist ehrenwert – Ablesbarkeit und Menüführung sind leider Taschenrechneruhr, 1982. An der Faszination dieses außergewöhnlichen Brockens ändert das aber auch nix.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 25.06.2021)

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