Soziale Ökologie

Viel zu viel Beton! Weniger Material für ein besseres Leben

Im Zentrum der Auststellung im Wiener MAK steht ein BOKU-Forschungsprojekt.
Im Zentrum der Auststellung im Wiener MAK steht ein BOKU-Forschungsprojekt.MAK / Mona Heiss
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Der Klimawandel zwingt die Welt, ihren Verbrauch an Energie, Land und Material drastisch zu senken. Kreislaufwirtschaft allein ist keine Lösung. Das zeigen Datenanalysen der Boku Wien, die nun in einer Ausstellung im MAK künstlerisch visualisiert werden.

Es wird systemische Veränderungen an der Organisation unseres Lebens geben“, prognostiziert Helmut Haberl. Er muss es wissen. So hat der Forscher vom Institut für Soziale Ökologie an der Universität für Bodenkultur (Boku) Wien schon am 2014 erschienenen fünften Sachstandsbericht des Weltklimarates (IPCC) mitgearbeitet. 2018 hat Haberl zudem eine hoch dotierte Förderung des Europäischen Forschungsrates, den renommierten ERC Advanced Grant, erhalten, um zu untersuchen, welche Rolle Materialbestände und Materialflüsse für Treibhausgasemissionen und Ressourcenverbrauch spielen.

Innovation allein löst Probleme nicht

Seitdem baut er gemeinsam mit seinem Forschungsteam Datenbanken auf, in denen die Materialflüsse und Materialbestände für alle Länder der Welt und für alle Jahre ab 1900 erfasst werden. Welche Materialien wurden entnommen, verwendet und in Beständen akkumuliert? Welcher Materialverbrauch ist mit welchem Lebensstil verbunden? Einbezogen in die Untersuchung werden materielle und energetische Rohstoffe, die die globale Industrie einsetzt, zum Beispiel Rohöl, Kohle, Erdgas, Holz, Kunststoffe, Glas, Schotter und Sand, aber auch Metallschrott und andere Abfallstoffe.

Schon nach der Hälfte der Dauer des Projekts zeigt sich, dass einige Prämissen, die die Erreichung der UN-Klimaziele bis 2030 garantieren sollen, sehr herausfordernd sind. Viele Materialien, etwa Metalllegierungen in Smartphones, sind im Rahmen einer Kreislaufwirtschaft nicht umfassend recycelbar. „Transformationsprozesse führen zu neuer Materialanhäufung. Infrastruktur, die erneuerbare Energien erzeugt, erfordert neue Materialflüsse“, erklärt Haberl. Das heißt, dass innovative Technologien allein die bestehenden Probleme keinesfalls lösen. Besonders „ressourcenhungrige“ Prozesse fanden die Forscher bei der Bautätigkeit, die im beobachteten Zeitraum massiv, wenn auch regional unterschiedlich, gestiegen ist. In Deutschland und Österreich beispielsweise wurden pro Kopf mehr als zehnmal so viele Tonnen an Baumaterialien angehäuft wie in Afrika südlich der Sahara.

Die Wissenschaftler halten deshalb politische Entscheidungen über die Verwendung der Ressourcen für unabdingbar. Gerade für Infrastruktur, Gebäude, Straßenbau, Brücken und dergleichen sind gigantische Materialmengen notwendig. Es gilt abzuwägen, wofür das knappe Gut genutzt wird. Als Indikator für Wachstum solle nicht länger allein das Wachstum des Bruttoinlandsprodukts, sondern das gesellschaftliche Wohlbefinden zugrunde gelegt werden, fordert Haberl: „Die Expertise ist da. Es geht darum, dass in die richtigen Strukturen investiert wird. Doch dazu ist politische Durchsetzungsfähigkeit gegen mächtige Interessengruppen nötig.“ Das österreichische Infrastrukturministerium könne darüber mitentscheiden, dass in die richtigen Verkehrsinfrastrukturen investiert wird. Für wichtig hält der Forscher ferner, die Baustandards zu verbessern: „Angesichts des Ziels, im Jahr 2040 klimaneutral zu sein, dürfen nur noch Nullenergiehäuser gebaut werden, die keine aktiven Heizungsanlagen benötigen.“

Sich im Museum den Tatsachen stellen

In Kooperation mit Forschern der Humboldt-Universität in Berlin wurden die Boku-Daten jetzt kartiert, das heißt räumlich verortet. Die Karten sind in der diese Woche eröffneten Ausstellung „Digital & Circular. Wege in die Kreislaufgesellschaft“ im Museum für angewandte Kunst (MAK) in Wien zu sehen. Dort wird plastisch, wie stark die Landschaftsversiegelung in Österreich fortgeschritten ist. Ebenfalls zu sehen gibt es Installationen der Wiener Designbüros Eoos Next und Process Studio. Sie bilden anhand Haberls Daten die ungleiche Verteilung des Materialverbrauchs und die lineare Wirtschaft ab. Ein fragiles Mobile, bestehend aus drei hängenden Sonnengläsern, die für Häuser, Straßen und Bäume stehen, macht deutlich, dass es auf der Welt doppelt so viel Plastik wie Tiere gibt und dass die Masse an Gebäuden und Infrastruktur die Biomasse überholt hat. Imposant veranschaulicht schließlich eine Kugelbahn mit knapp tausend Stahl- und Holzkugeln alle Materialströme in Österreich.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.06.2021)

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