Ungarn: Weitere sechs Tote durch Giftschlamm?

A Hungarian soldier, wearing a chemical protection gear, cleans a street flooded by toxic in the town
A Hungarian soldier, wearing a chemical protection gear, cleans a street flooded by toxic in the town(c) AP (Bela Szandelszky)
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Der giftige Schlamm, der in Ungarn aus einer Fabrik ausgetreten ist und Dörfer überschwemmt hat, dürfte insgesamt zehn Tote gefordert haben. 500 Helfer kämpfen gegen die Ausbreitung der Umweltkatastrophe.

Die Umweltkatastrophe in Ungarn scheint sich zwei Tage nach dem Bruch eines mit Giftschlamm gefüllten Beckens einer Aluminiumfabrik immer mehr auszuweiten. Mittlerweile werden bereits zehn Tote befürchtet, darunter zwei Kleinkinder und mehrere ältere Menschen. Selbst die Luft sei mittlerweile vergiftet, berichtete ein Mitarbeiter der Umweltschutzorganisation WWF. Fauna und Flora seien im Umkreis von 40 Quadratkilometern vernichtet. Sollte sich der Giftschlamm weiter ausbreiten, könnte er in ein paar Tagen die Donau erreichen.

Am Montagabend ist nahe der westungarischen Kleinstadt Ajka der Damm eines Auffangbeckens geborsten, woraufhin sich eine rotbraune und giftige Schlammwelle über drei Ortschaften wälzte. Das Schadensausmaß ist nach wie vor nicht abzusehen. Die Zahl der Todesopfer könnte allerdings auf zehn steigen, denn sechs ältere Personen, die als vermisst galten, dürften unter den Schlammmassen ums Leben gekommen sein, hieß es am Mittwoch. Mittlerweile kämpft ein 500 Mann starker Aufräumtrupp gegen die Ausbreitung der Umweltkatastrophe.

WWF: "Verheerende Langzeitschäden"

In drei Ortschaften, vor allem in Kolontar, hat die giftige Schlammlawine Verwüstungen angerichtet. Hausrat und Autos wurden bis zu zwei Kilometer entfernt in Feldern gefunden. Der Schlamm steht dort auch zwei Tage nach dem Chemieunfall noch einen Meter hoch im Dorf. Ein Regierungssprecher sagte, das aus dem geborstenen Becken ausgetretene Material sei toxisch und könne sowohl Haut- als auch Augenirritationen hervorrufen. Es sei jedoch nicht radioaktiv und enthalte kein Zyanid.

Der WWF befürchtet trotzdem "verheerende Langzeitschäden". Der Rotschlamm, ein Überbleibsel aus der Aluminiumgewinnung, enthalte Blei, Kadmium, Arsen und Chrom - allesamt Gifte, die Flora und Fauna zerstöre. Der Fluss Marcal sei bereits tot, hieß es in einer Aussendung. Laut WWF sei das ausgeflossene Material sehr wohl "leicht radioaktiv", weshalb auch bereits 500 bis 600 Tonnen Gips zur Bindung in den Fluss geschüttet worden sind. Die Umweltkatastrophe sei "beispiellos in der ungarischen Geschichte".

Noch weitere gefährliche Becken

Das offenbar deutlich über die erlaubte Norm gefüllte Giftschlammbecken dürfte nicht das einzige sein, laut WWF gibt es noch weitere giftige Depots im Donauraum, die teilweise sogar verlassen und ungesichert seien. Allein in Ungarn befänden sich Reservoire mit einem geschätzten Gesamtvolumen von 50 Millionen Kubikmetern. Eines dieser Becken sei bei Almasfuzito direkt an der Donau angesiedelt.

Doch nicht nur für die Flüsse ist die Lage offenbar katastrophal. Beckmann: "Das Grundwasser ist in drei Komitaten massiv gefährdet, weil es dort stark geregnet hat." Die im Rotschlamm enthaltenen Schwermetalle würden den Boden derart verseuchen, dass er eigentlich komplett abgetragen werden müsse.

"Die Luft ist vergiftet"

Sich in Kolontar und Umgebung aufzuhalten, sei derzeit nicht ratsam: "Die Luft ist vergiftet und in den Häusern stehen die Menschen bis zur Hüfte im Schlamm." Die gesundheitlichen Langzeitfolgen für die Menschen seien unabsehbar, denn einzelne Stoffe in der rotbraunen Masse seien krebserregend.

Die Aufräumarbeiten werden der ungarischen Regierung zufolge Monate, wenn nicht gar ein Jahr dauern. "Das hier aufzuräumen, wird Monate dauern", sagte Umweltstaatssekretär Zoltan Illes dem Feuerwehrportal langlovagok.hu. Dabei würden Kosten in Höhe von Dutzenden Millionen Euro entstehen. Deshalb erwäge Ungarn auch, die EU um Hilfe zu bitten. Im Sender BBC veranschlagte der Politiker die Dauer der Aufräumarbeiten sogar mit bis zu einem Jahr.

Kritik an ungarischer Umweltpolitik

Unterdessen ist in Ungarn auch Kritik an der Politik laut geworden. "Die Geschehnisse sind die Folge der jahrzehntelangen Verantwortung - und natürlich Verantwortungslosigkeit - der politischen Kaste", schrieb die Budapester Zeitung "Nepszabadsag" am Mittwoch. Kommentatoren kritisierten unter anderem, dass die Abfälle der in den 90er Jahren privatisierten ungarischen Aluminiumindustrie nahezu bedenkenlos unter freiem Himmel gelagert werden könnten. Die Politik habe es versäumt, strengere Vorschriften zu erlassen und - wie etwa in der Schweiz, Österreich oder Großbritannien - eine Deponiesteuer einzuführen.

(APA)

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