Als alle wieder da waren, da wurde geschwiegen. Am Morgen in den Gängen und dann auch in den Klassen.
Schule

Ich habe Lehrer weinen sehen

Öfter kam es uns so vor, als würden die Schüler durch uns hindurchsehen. Sie waren wieder da, ohne wirklich da zu sein, sie begegneten uns, ohne uns zu begegnen. Da ist etwas zerbrochen, was nur schwer wieder zu kitten sein wird.

Am Anfang war – nein, nicht das Wort. Das Schweigen. Das ist mir als Erstes aufgefallen. Als alle wieder da waren, da wurde geschwiegen. Am Morgen in den Gängen und dann auch in den Klassen. Hartnäckig geschwiegen. Sie sahen uns zwar an, aber sie grüßten nicht mehr. Öfter kam es uns auch so vor, als würden sie durch uns hindurchsehen. Sie waren wieder da, ohne wirklich da zu sein, sie begegneten uns, ohne uns zu begegnen.

Was wir auf den Gängen sahen, setzte sich in den Klassen fort. Wenn sie mit uns sprachen, dann einsilbig. Meist verzögert, selten freiwillig und nie spielerisch. Der Spielwitz, die Doppelbödigkeit der Sprache, die Ironie der Demaskierung – weg und die Distanz da. Und das war nicht nur die Maske. Da war etwas passiert, was aus der Mikroperspektive einer oberösterreichischen Schule kaum in einen systemischen Befund zu überführen ist. Vermutlich hatte Günther Anders, der heute fast vergessene Philosoph, doch recht: Hinter den Bildschirmen vereinsamen wir – auch wenn wir alle das Gleiche machen, und auch wenn wir (das wusste Anders noch nicht) dabei scheinbar interagieren. Vermutlich ist es auch so, dass Lernen, das Ruhe und vor allem Kontinuität braucht, nicht mehrmals so brutal unterbrochen, ausgelagert, digitalisiert und re-analogisiert werden kann wie in diesem letzten Schuljahr. Da ist etwas zerbrochen, was nur schwer wieder zu kitten sein wird. Etliche Lehrer wissen das. Ich habe toughe Lehrerinnen mit mehreren akademischen Graden und einer Managementvorgeschichte in der Privatwirtschaft weinen sehen, bei den seelischen Verwerfungen, die sie bei den jungen Persönlichkeiten wahrnahmen. Diese, das muss man festhalten, treffen nicht alle Jugendlichen, und es trifft nicht alle gleich. Allgemein gültige Befunde sind schwierig.

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