Wenn das Ego das Business killt

Blendung. So mancher Vortrag begeistert. Doch stochert man tiefer hinein, bleibt nicht viel Gehaltvolles übrig. Höchstens ein gewisser Unterhaltungswert.

Gleich die erste Keynote auf dem HR Inside Summit, dem ersten Personalistenevent nach der langen Pause, blieb hängen (ob positiv oder nicht, sei noch dahingestellt). Sebastian Körber, Organisationsentwickler und talentierter Redner, fing das wiedersehenstrunkene Publikum mit der Frage ein, wer im Raum wohl keinen stabilen Selbstwert habe. Gelächter und Raunen. Körber streute ein paar Worte zur Begriffsklärung ein, das Ego als kognitives Selbstkonzept, genährt durch die Identifikation etwa mit Dingen, Meinungen, Beruf oder Schicht, getrieben von der untersten Ebene der Maslow'schen Bedürfnispyramide.

Hurtig ging es zum Kern des Vortrags: wie das Ego unsere Entscheidungen lenke und in letzter Konsequenz unser Business killen könne. Schuld sei „der Wille als Bruder der Angst“. Angst vor der Nichterfüllung der Grundbedürfnisse nämlich. Doch Lösung naht. Man könne erkennen, wenn sich das Ego meldet. Etwa an:
•Gefühlen der Über- oder Unterlegenheit
•Neid, Schuld und Scham
•Reaktivität, Beleidigtsein und Feedbackunfähigkeit
•Größenwahn
•gedanklich in der Zukunft leben
•Fokus auf Negativem und •„Seperatedness“, dem Gefühl des Getrenntseins von anderen.

Jetzt blickt das Publikum doch ein wenig betroffen. Irgendwo auf dieser breiten Liste fand sich jeder wieder. Doch Körber tröstet. Wer auf diese Gefühle achte, komme seinem Ego auf die Spur. Die beste Nachricht zuletzt: Wann immer man in der Gegenwart lebe und die Zeit vergesse, sei man egofrei. Begeisterter Applaus, Körber ab.

Was ist dran an diesem Vortrag? Das Internet gibt nicht viel her. Vom Ego als Selbstbild ist die Rede: „Wer du denkst, der du bist.“ Oder vom Ego als „Sandwich-Kind zwischen Über-Ich und Unterbewusstem“. Nicht weniger wolkig.

Mischmasch von Stereotypen

Wer es präzise und fachlich sauber will, der geht zum Wissenschaftler. Christian Korunka leitet den Bereich Arbeits- und Organisationspsychologie an der Fakultät für Psychologie der Universität Wien. Seine erste Reaktion auf den Vortrag ist eher irritiert: „Ein Mischmasch an plakativ vereinfachten Stereotypen, die zwar Ansatzpunkte sein können, in ihrer beliebigen Vermischung aber sehr an der Oberfläche bleiben.“ Autsch.

Immerhin, er versucht die Aussagen aufzudröseln. Der Ego-Begriff als solcher, sagt er, sei weithin bekannt und gern benutzt („Du Egoist“). Hier sei er geschickt mit dem ebenso populären Begriff der Freiheit verknüpft. „Präziser wäre es“, meint Korunka, „im Vortrag vom pathologischen Egoismus, im Sinne der Definition von Narzismus, zu sprechen.“

Das Zitat vom „Wille als Bruder der Angst“ wiederum erinnere ihn an die Theorie von Ryan und Deci. Ihr zufolge ist jeder Mensch durch drei Bedürfnisse motiviert: dem nach Autonomie (Kontrolle über sein Leben), sozialer Eingebundenheit (Verbindung zu anderen) und Kompetenz (sich fähig fühlen). Allerdings, so Korunka, beschrieben Ryan und Deci den Willen als positiven Antrieb, nicht als komplementär zu Angst.

Die Auflistung der Ego-Kennmerkmale streift für ihn an der „Dunklen Triade“, den drei problematischen Persönlichkeitsausprägungen Narzissmus, Machiavellismus und Psychopathie, hier geschickt übertragen auf die Wirtschaftswelt.

Zum Drüberstreuen identifiziert er Persönlichkeitsmerkmale wie Pessimismus/Optimismus, wie man sie aus Bewerbungstests kennt, sowie Alfred Adlers Minderwertigkeitsbegriff.

Ein „Durcheinander an massentauglichen Worthülsen“, resümiert der Psychologe: „Wohlwollend betrachtet könnte man sagen: Erkenne die hier beschriebenen Dinge an dir, gleiche dein Selbstbild mit der Wahrnehmung anderer ab und versuche dich in Zurückhaltung.“

Fazit: Manchmal lohnt es sich, in die Tiefe zu graben. Dann findet sich doch noch Nützliches.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 26.06.2021)

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