Wort der Woche

Die Luftfahrt wird nicht klimafreundlicher

Die Luftfahrt wird ihre Klimaschutzziele mit hoher Wahrscheinlichkeit verfehlen – und zwar weitgehend unabhängig davon, wie es nach Corona weitergeht, sagt eine Studie.

Man würde eine Kristallkugel brauchen, um zu wissen, wie sich der Flugverkehr nach der Coronakrise und angesichts der grassierenden „Flugscham“ weiterentwickeln wird. Offen ist damit auch, wie relevant Flugzeuge künftig für die globale Erwärmung sein werden – derzeit ist der Flugverkehr für rund fünf Prozent des menschengemachten Klimawandels verantwortlich. Die Ergebnisse einer europäischen Forschergruppe unter Führung des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) lassen jedenfalls nichts Gutes erwarten: Durchgerechnet wurden einige Szenarien, ob bzw. wann sich der Flugverkehr vom coronabedingten Einbruch erholen wird. Es zeigte sich, dass kein Klimawandel-dämpfender Effekt zu erwarten ist – im Gegenteil (Nature Communications, 22. 6.).

Vieles hängt freilich davon ab, ob es die Luftfahrt schafft, die Emissionen pro Personenkilometer deutlich zu senken, etwa durch starke Effizienzsteigerungen oder mit nachhaltig erzeugten Treibstoffen. Die Forscher um Volker Grewe haben dazu fünf Szenarien entwickelt und unter der Annahme eines moderaten Wachstums des Flugverkehrs mit den Klimazielen verglichen. Im Szenario „Weiter wie bisher“ wächst die Klimawirkung des Fliegens ungebremst weiter. Die „Business as usual“-Variante berücksichtigt den Trend einer Effizienzsteigerung – dies reicht aber nicht aus, um die globale Erwärmung zu bremsen. Auch der Corsia-Plan der Luftfahrtorganisation ICAO, die CO2-Emissionen pro Personenkilometer durch ein Kompensations-schema bis 2050 zu halbieren, verfehlt die Klimaziele. Eine Stabilisierung bzw. Reduktion des Treibhauseffekts wäre nur durch die Forcierung neuer Technologien möglich – und zwar v. a. dann, wenn diese rascher eingesetzt werden als in der europäischen „Flightpath 2050“-Initiative vorgesehen.

Der wichtigste Grund für diese pessimistische Einschätzung ist, dass die meisten geplanten Maßnahmen nur auf eine Reduktion der CO2-Emissionen abzielen – nicht aber auf den Ausstoß von Stickoxiden, Wasserdampf, Schwefel und unverbrannten Kerosinresten, die durch Veränderungen der Atmosphärenchemie und die Bildung von Kondensstreifen ebenfalls eine erwärmende Wirkung haben. Die Forscher konnten nun zeigen, dass die Nicht-CO2-Effekte für die Treibhauswirkung des Fliegens sogar bedeutsamer sind als CO2.

Ergo: Solang es keine ganzheitliche Bewertung aller Folgewirkungen des Flugverkehrs gibt, wird dieser nicht klimafreundlicher werden.

Der Autor leitete das Forschungsressort der „Presse“ und ist Wissenschaftskommunikator am AIT.

meinung@diepresse.com

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("Die Presse", Print-Ausgabe, 27.06.2021)

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