Der ökonomische Blick

Schulplatzallokation und strategisches Eltern-Verhalten

Photo of the older brother giving his sister a kiss. North Brookfield, MA, United States PUBLICATIONxINxGERxSUIxAUTxONL
Photo of the older brother giving his sister a kiss. North Brookfield, MA, United States PUBLICATIONxINxGERxSUIxAUTxONLimago images/Cavan Images
  • Drucken

In der Ökonomie geht es im weitesten Sinne um die Zuteilung knapper, meist finanzieller, Ressourcen. Es gibt jedoch Bereiche, in denen Preise aus Gründen der Moral und Fairness nicht als Zuteilungsmechanismus gewollt sind.

Im weitesten Sinne geht es in der Ökonomie um die Allokation von knappen Ressourcen. Ökonomen studieren die existierende Allokationsmechanismen, evaluieren sie bezüglich ihrer Effizienz und Fairness, und überlegen, wie man sie verbessern kann. Das prominenteste Beispiel sind Märkte, in denen Preisen eine wesentliche Rolle bei der Koordination von Angebot und Nachfrage zukommt.

Es gibt jedoch auch Zuteilungsprobleme, in denen Preise als Allokationsmechanismus nicht gewollt sind, weil sie beispielsweise als unfair oder moralisch inakzeptabel empfunden werden. Dazu gehören die Zuteilung von Kindern zu Schulen, aber auch die Verteilung von Spenderorganen, Universitätsstudienplätzen, oder Behördenterminen. Dort sollen nicht diejenigen die höchste Chance auf einen Platz haben, die am meisten zahlen können, sondern es soll nach anderen, gesellschaftlich akzeptierten Kriterien zugeteilt werden. Auch die Wünsche der Antragsteller gilt es zu berücksichtigen.

Ökonomen habe Methoden und Modelle entwickelt, mit denen sich verschiedene Allokationsmechanismen vergleichen lassen und Verbesserungsvorschläge erarbeitet werden können. So hat der amerikanische Ökonom Alvin E. Roth im Jahr 2012 für seine sowohl theoretischen als auch praktischen Beiträge zu Allokationsmechanismen einen Nobelpreis erhalten. Er hat geholfen, Schulzuteilungen in verschiedenen amerikanischen Städten effizienter und fairer zu machen, oder die Zusammenführung von Nierenpatienten und Lebendspendern von Nieren zu organisieren. Damit hat er viele Leben verbessert oder sogar gerettet.

Jede Woche gestaltet die „Nationalökonomische Gesellschaft" (NOeG) in Kooperation mit der "Presse" einen Blog-Beitrag zu einem aktuellen ökonomischen Thema. Die NOeG ist ein gemeinnütziger Verein zur Förderung der Wirtschaftswissenschaften.

Beiträge von externen Autoren müssen nicht der Meinung der „Presse"-Redaktion entsprechen.

>>> Alle bisherigen Beiträge

Auch in Österreich gibt es Verbesserungspotenzial

In Österreich waren Ökonomen bisher noch nicht oft in das Design von Allokationsmechanismen eingebunden. Aber auch hier gibt es viele Allokationsprobleme, die Verbesserungspotential haben. Ein Problem ist die Zuteilung von Schulplätzen, sowohl in der Volksschule als auch in der Sekundarstufe. Im Regelfall kann nur eine einzige Schule als Präferenz genannt werden, und bei vielen Eltern herrscht Unsicherheit, ob ihr Kind an der am meisten präferierten Schule genügend große Chancen hat, aufgenommen zu werden. Oft wählen Eltern daher eine sicherere Schule in der Nähe des Wohnorts, anstatt ihr Kind bei der Lieblingsschule anzumelden. Diese Unsicherheit führt aber auch zu unehrlichem strategischem Verhalten der Eltern. Manche Eltern ändern vor der Schulanmeldung die Adresse ihres Kindes, um sich höhere Chancen auf einen Platz bei der Lieblingsschule zu sichern. Bisher gab es dazu nur anekdotische Evidenz, ausgetauscht zwischen Eltern.

Jetzt hat Dr. Anita Zednik von der Wirtschaftsuniversität Wien eine Studie auf der Basis von Wiener Meldedaten vorgelegt, die solches strategisches Verhalten der Eltern empirisch dokumentiert. Dr. Zednik analysiert die anonymisierten Meldedaten von mehr als 300.000 Wiener Kindern zwischen September 2016 und August 2020 und identifiziert „Hin-und-Her-Umzüge“, also Fälle, in denen ein Kind vor Schulanmeldung an einer anderen Wiener Adresse angemeldet und nach Schulanmeldung wieder zur ursprünglichen Adresse umgemeldet wurde.

Grundsätzlich kann so etwas natürlich auch geschehen, wenn das Kind temporär nur bei einem Elternteil oder bei anderen Aufsichtspersonen lebt. Die Muster in den Daten verraten aber das strategische Kalkül, wie Dr. Zednik dokumentiert. Erstens ist die Häufigkeit von Hin- und Her-Umzügen fast dreimal so hoch, wenn die Kinder ins Schulanmeldungsalter für Volksschule oder Sekundarstufe kommen, verglichen mit anderen Altersstufen. Zweitens finden in diesen Altersstufen über 80% aller Hin- und Her-Umzüge genau in den Monaten vor der Schulanmeldung statt. Ein weiteres Ergebnis der Analyse zeigt, dass diese Hin- und Her-Umzüge insbesondere in Wiener Bezirke mit höherem Bildungsanteil in der Bevölkerung und höheren Wohnungspreisen erfolgen. Andere Studien haben gezeigt, dass diese Zahlen stark mit der lokalen Schulqualität korrelieren, was wiederum unterstreicht, dass es bei den Hin- und Her-Umzügen tatsächlich um Zugang zu besseren Schulen geht.

Strategisches Verhalten sorgt für Ungleichheit

Dieses strategische Verhalten sorgt auch für mehr Ungleichheit bei der Schulplatzverteilung. Für Kinder mit Migrationshintergrund und aus Haushalten, in denen die Eltern keinen Universitätsabschluss haben, werden anteilig deutlich weniger Hin-und Her-Umzüge beobachtet als für Kinder mit österreichischer Staatsbürgerschaft und aus Haushalten mit höheren Bildungsabschlüssen. Die Daten zeigen, dass es an der Zeit ist, auch die österreichischen Mechanismen zur Allokation von Schulplätzen genauer unter die Lupe zu nehmen. Mittels ökonomisch-empirischen Forschungsmethoden kann man herausfinden, wie fair und effizient derzeitige Prozeduren sind. Ökonomische Theorie und Simulationen können helfen, Verbesserungsvorschläge zu entwickeln, die dann vor einer breiten Einführung gründlich experimentell getestet werden. Auch hier können Ökonomen helfen, Leben zu verbessern.

Die Autoren

Ben Greiner ist Professor für Empirical Business Research an der WU Wien, Leiter des Institute for Markets and Strategy und des WU Kompetenzentrums für Experimentalforschung. Er forscht zu Market Design, strategischem Verhalten, Gruppenverhalten, und Vertrauen und Vertrauenswürdigkeit.

Anita Zednik ist Assistant Professor am Institut for Markets and Strategy an der WU Wien. In Ihrer Forschung untersucht sie neben Schulzuteilung-Mechanismen unter anderem das ökonomische Verhalten von Senioren und den Wert von Kulturerbe.

(c) Roman Reiter / WU

>>> Erklärvideo zur Unsicherheit bei Schulwahl

>>> Aufzeichnung einer WUmatters-Veranstaltung zur Schüler/innen-Allokation in Wien

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Der ökonomische Blick

Österreichs Kampf gegen die Inflation ist teuer, klimaschädlich und nicht treffsicher

Österreich befindet sich bei Ausgaben gegen die Inflation im Vergleich von 29 europäischen Ländern an fünfter Stelle. Zu einem großen Teil sind die Maßnahmen jedoch kontraproduktiv für die Klimaziele und nicht treffsicher. Wie das in Zukunft verhindert werden könnte.
Der ökonomische Blick

(Was) verlieren Arbeitnehmer, wenn sie ein paar Monate lang nicht arbeiten gehen?

In unserer jüngsten Studie untersuchen wir die Folgen einer vorübergehenden Abwesenheit vom Arbeitsplatz auf die langfristige Lohnentwicklung ungarischer Arbeitnehmer:innen. Und kamen zu zwei wesentlichen Ergebnissen.
Der ökonomische Blick

Wie der Mietpreisdeckel in der Bevölkerung gesehen wird

Unter Ökonomen besteht ein hoher Konsens darüber, dass die aktuell intensiv diskutierten Mietregulierungen ineffizient sind. Doch welche Effekte dieser Maßnahme sind für die Bevölkerung wichtig und für die hohe Unterstützung in der Öffentlichkeit ausschlaggebend?
Der ökonomische Blick

Wie die Corona-Pandemie Österreichs Immobilienmarkt beeinflusst hat

Wie haben sich Lockdowns, Ausgangsbeschränkungen und Veränderungen in den Arbeitsbedingungen auf den österreichischen Immobilienmarkt ausgewirkt? Eine Bilanz.
Der ökonomische Blick

Sprache und Integration: Die langfristigen Wirkungen der Schulpolitik

Programme für neu eingetroffene Flüchtlinge und Migranten gelten als besonders erfolgreich, wenn sie einen starken Schwerpunkt auf Sprachtraining setzen. Eine empirische Studie aus den USA legt nun nahe, dass die erzwungene Sprachwahl an der Schule nach hinten losgehen kann.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.