Morgenglosse

Wladimir Putins Covid-Kaltschnäuzigkeit

Wladimir Putin markiert gern den charismatischen Anführer, der die Geschicke Russlands lenkt. Doch in der Coronakrise erklärt er sich für nicht zuständig. Der Staatsapparat ist ratlos, wie er mit der Absenz des starken Mannes umgehen soll.

Wladimir Putins System beruht auf der Figur eines charismatischen Anführers, der für alle verbindliche Regeln bestimmt. Personalisierte Macht, wie sie im Lehrbuch steht. Doch in der Coronakrise ist das anders. Anstatt die Richtung vorzugeben, ist Putin in der Pandemie größtenteils abwesend.

Der russische Präsident, der sich für Geschichte, Geopolitik und das Genom begeistert, interessiert sich einfach nicht für die Pandemie. Ginge es nach ihm, wäre die Coronakrise schon längst beendet. Schon im vergangenen Juni erklärte Putin, Russland gehe aus der Pandemie „gestärkt“ und mit „minimalen Verlusten“ hervor. Die zweite, bisher tödlichste Welle im Herbst/Winter 2020 fand offiziell nicht statt. Alle Augen waren auf das Sputnik-Vakzin gerichtet, das Welterfolg bringen sollte. Auch bei seiner alljährlichen Call-In-Sendung am heutigen Mittwoch will Putin trotz abermals horrender Infektionszahlen sich nicht in Sachen Coronavirus an die Russen wenden. Das zumindest erklärte der Kreml vorab.

Das Pandemie-Management ist dem regionalen Beamtenapparat überlassen. Doch aufgrund der Inaktivität des Kremls sind die unteren Chargen wie paralysiert. Die Machtvertikale, die sonst gebietet und straft, existiert nicht. Während unabhängige Medien gegängelt (jüngstes Beispiel: die Journalisten der Rechercheseite „Projekt“) und politische Aktivisten wie Staatsfeinde verfolgt werden, gilt bei Corona „anything goes“. Massenveranstaltungen ohne wirksame Schutzkonzepte wie jüngst in St. Petersburg finden weiterhin statt, bestimmte Berufsgruppen werden dagegen einem Impfzwang unterworfen. Die Regionen übertreffen sich damit, strenge Regeln zu erlassen, ohne sie jedoch wirklich einzuhalten. 

Dahinter steckt eine tiefe Dysfunktionalität der Bürokratie, die es verlernt hat, Entscheidungen zu treffen und Verantwortung zu übernehmen. Gerne rügen die Beamten dann das Volk, das dumm, unwillig und uneinsichtig sei. Doch der so genannte „pofigism“ der russischen Bürger – die riskante „Ist-mir-doch-egal“-Haltung in der Coronakrise – spiegelt vor allem eines wider: das Verhalten der Staatsführung.

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