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Annalena Baerbock und der "Propagandakrieg"

Annalena Baerbock
Annalena Baerbock(c) APA/AFP/POOL/AXEL SCHMIDT (AXEL SCHMIDT)
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Die Grünen antworten heftig auf Plagiatsvorwürfe aus Salzburg gegen ihre Kanzlerkandidatin. Von einer „Desinformationskampagne“ ist die Rede. Indes werden neue fraglichen Stellen in Baerbocks Buch publik. Die Grünen wissen: noch ein Fehler, und der Traum vom Kanzleramt ist vorbei.

Als sich die Republik über Annalena Baerbocks stellenweise frisierten Lebenslauf beugte oder ihre zu spät gemeldeten Nebeneinkünfte diskutierte, antwortete die 40-Jährige immer gleich: mit einem späten Mea culpa. „Das war Mist“, erklärte die grüne Kanzlerkandidatin, die erste der Geschichte, und es tue ihr „sehr, sehr leid“. Subtext: Wir Grünen machen auch Fehler, aber wir pflegen eine andere, offenere Fehlerkultur.
Doch die Schadensbegrenzung glückte nur bedingt. Glaubwürdigkeit zählt zu den wichtigsten Währungen in der Spitzenpolitik. Und die 40-Jährige scheint einige Währungsreserven verbraucht zu haben. Ihre Beliebtheitswerte fallen. Die Union ist den Grünen (nicht nur deshalb) in den Umfragen enteilt. Die Parteizentrale war also alert: Nur nicht noch ein Patzer! Und dann kam wieder der Plagiatsforscher aus Salzburg, Stefan Weber, und warf Baerbock vor, in ihrem neuen Buch, „Jetzt“, stellenweise abgeschrieben zu haben.

Mindestens so bemerkenswert wie die Anschuldigungen ist die Härte, mit der die Grünen antworteten. Diesmal gab es keinen Funken Selbstkritik. Stattdessen witterte die Ökopartei auf allen Kanälen eine „Kampagne“. Unter der Betreffzelle „Das ist Rufmord!“ soll Geschäftsführer Michael Kellner in einem Rundmail grüne Anhänger zur Verteidigung von „Annalena“ mobilisiert haben. Er reichte dazu laut „Bild“ auch Tweets eines ZDF-Medienrechtsexperten, wonach an den Plagiatsvorwürfen „NICHTS“ (Großbuchstaben) dran sei und appellierte: „Twittere selbst oder retweete und zeige damit volle Solidarität mit Annalena!“ Das wurde reichlich getan. Nach grüner Lesart wohl eine Art Gegenkampagne.


Die Causa hatte es am Dienstag in die „Tagesschau“ geschafft. Titel des Beitrags: „Plagiatsvorwürfe gegen Baerbock“. Solche Schlagzeilen wünscht man sich nie. Aber schon gar nicht im Wahlkampf. Hannah Neumann, grüne EU-Abgeordnete, belehrte daraufhin Journalisten, der Beitrag müsste heißen: „Schmutzkampagne gegen Baerbock“, und sie erinnerte, dass „wir alle eine Verantwortung für einen demokratischen Diskurs haben. Gerade nach Trump.“ Dass sich Grüne über die ARD beklagen, das ist eher die Ausnahme.

„Dreckskampagne": Grüne tragen dick auf

Urgestein Jürgen Trittin wähnte eine „Dreckskampagne“ der „Bild“-Zeitung, die die Causa prominent aufgegriffen hatte. Noch dicker trug Reinhard Bütikofer auf. Der EU-Parlamentarier und Ex-Parteichef witterte einen „rechten Propagandakrieg“ gegen Baerbock.
Was war passiert? Baerbock hat einige Stellen in ihrem Buch offenbar großteils wortgleich aus anderen Quellen zusammenkopiert. Es handelt sich dabei teilweise um keine hochgeistigen Ergüsse, sondern um eher Profanes wie die Aufzählung der höchsten (geplanten) Holzhäuser oder eine in ganzen Sätzen ausbuchstabierte Auflistung der EU-Beitrittsländer 2004. Baerbock hatte zudem Erläuterungen zur Strategie des Pentagons übernommen. Die Quellenangaben fehlten.

Plagiatsforscher Weber dimmte am Mittwoch seine Kritik. Die fraglichen Stellen nannte er im „Spiegel“ „nichts Weltbewegendes, das sind alles frei zugängliche Informationen“.   Baerbock hätte sie aber kennzeichnen sollen. Später legte er laut APA weitere „Funde“ nach. Er zählt mittlerweile „14 Fragmente“. Vorwürfe des Rufmords oder Unterstellungen, er habe einen Auftraggeber, wies Weber zurück.

Neue, heiklere Passage

Eine beanstandete Passage scheint insofern heikel, weil Baerbock hier nicht nur Fakten übernimmt, sondern einen analytischen Gedanken. Die Grünen-Chefin schreibt: "Wer immer nur von der Gegenwart aus denkt, verharrt in der Kurzfristigkeit und verliert an strategischer Tiefe." Die Forscherin Florence Gaub, die sich mit sicherheitspolitischen Fragen
beschäftigt, hatte zuvor in einem Artikel für die Zeitschrift „Internationale Politik“ geschrieben: "Wer ständig in Krisen denkt, verharrt in der Kurzfristigkeit und verliert an strategischer Tiefe."

Der Salzburger Weber könnte im Wahlkampf noch öfter auftauchen. Er will Baerbocks Masterarbeit durchleuchten: „Ich habe mich in das Thema Baerbock verbissen, weil da einiges zusammenkommt“, räumte er ein.

Die meisten Mitbewerber wollten die Causa um Baerbocks Buch vorerst nicht zur Staatsaffäre hochjazzen. „Regt euch ab!“, twitterte auch FDP-Geschäftsführer Marco Buschmann: „Jeder weiß, dass Bücher von Spitzenkandidatinnen und Spitzenkandidaten vor der Wahl eher die literarische Qualität einer Werbebroschüre haben. Da ist eher selten ein wirklich origineller Gedanke drin.“ CSU-Generalsekretär  Markus Blume lästerte indes über die „Schummel-Baerbock“, woraufhin ihm die Grünen – erraten – Beteiligung an „Desinformationskampagnen“ vorwarfen.

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