Ungarn: Giftschlamm bedroht Raab und Donau

HUNGARY SLUDGE FLOOD
HUNGARY SLUDGE FLOOD(c) EPA (Tamas Kovacs)
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Drei Tage nachdem aus einer ungarischen Fabrik giftiger Industrieschlamm ausgetreten ist, werden in den Flüssen Raab und Donau erhöhte Laugen-Werte gemessen.

Kein Ende der Umweltkatastrophe in Ungarn - ganz im Gegenteil. Der gifte Rotschlamm, der über die Flüsse Marcal und Raab transportiert wurde, soll mittlerweile sogar die Donau erreicht haben. Laut Greenpeace ist der PH-Wert der Raab von den üblichen 6,5 auf 9 gestiegen. In den von dem Dammbruch in einem Aluminiumwerk am Montag betroffenen Dörfern herrscht Endzeitstimmung, die meisten Einwohner wollen abgesiedelt werden.

Gefährliche Gifte

Der trocknende Schlamm verwandelt sich zusehends in Staub, den viele Menschen ungeschützt einatmen. Unterdessen wurde ein weiteres mit giftigen Stoffen gefülltes Becken des Aluminiumwerkes als instabil eingestuft. Österreich hat Ungarn am Donnerstag seine Hilfe bei den Aufräumarbeiten angeboten.

"Von Normalisierung kann keine Rede sein. Die Einwohner von Kolontar wollen nur noch weg." So beschrieb Andreas Beckmann von der Umweltschutzorganisation WWF das Szenario in dem schwer gezeichneten Dorf. Durch viele Häuser hat sich eine rote Schlammmasse gewälzt. Die Anwesen dürften für lange Zeit unbewohnbar sein. Das Ökosystem des Flusses Marcal ist komplett zerstört, überall sind tote Tiere zu sehen. Dünger wurde tonnenweise in das Wasser gekippt, um die ätzende Lauge zu binden.

Vier Umweltgifte werden im Zusammenhang mit der Giftschlamm-Katastrophe in Ungarn immer wieder genannt: Arsen, Blei, Cadmium und Chrom. Auch Quecksilber könnte im ausgetretenen Rotschlamm enthalten sein.

Mehr: Wie giftig sind Arsen, Blei, Cadmium und Chrom?

Weiteres Reservoir birgt Gefahren

Nun droht auch noch Gefahr aus einem anderen Becken des Aluminiumwerks: "Reservoir 9, das neben dem geborstenen Reservoir 10 liegt und ähnlich giftige Stoffe enthält, ist ebenfalls geschwächt. Die Behörden versuchen nun, auch den Inhalt dieses Beckens zu neutralisieren und kontrolliert zu entleeren", sagt WWF-Mann Beckmann.

Die Katastrophe wird vom WWF mittlerweile als schlimmer eingeschätzt als die Cyanid-Katastrophe von Baia Mare in Rumänien im Jahr 2000. Damals trat kontaminiertes Wasser aus dem Sammelbecken einer Gold-Aufbereitungsanlage aus. Der mit Schwermetallen versetzte Cyanid-Schlamm gelangte über in die Theiß in die Donau. Dass der Rotschlamm diesmal die Donau erreichen könnte, darüber gibt es unterschiedliche Ansichten.

Berichte von Behörden und Umweltschutzorganisationen ließen durchblicken, dass der ph-Wert an der Mündung der Raab in die Donau leicht gestiegen sei. Rumänien hat bereits damit begonnen, die Wasserqualität zu überwachen.

Premier: "Neuer Ort für die Bewohner"

Ministerpräsident Victor Orban sprach bei seinem Besuch in Kolontar von einer noch nie dagewesenen ökologischen Katastrophe in Ungarn. "Es ist schwierig, die richtigen Worte zu finden. Wäre dies bei Nacht passiert, wären nun alle tot", sagte er.

Zugleich bekräftigte er seine Einschätzung, hinter dem Unglück stehe menschliches Versagen. Orban hat den Eindruck, dass jede Bemühung zum Wiederaufbau umsonst sein werde: "Wahrscheinlich muss ein neuer Ort für die Bewohner gefunden werden, denn hier zu leben ist unmöglich."

Kritik an Aluminiumfabrik

In der Zwischenzeit wächst die Kritik an den Betreibern des Aluminiumwerks. Greenpeace etwa fordert die volle Übernahme der Kosten für die Schadensbeseitigung und Schadenersatzzahlungen an die betroffene Bevölkerung. "Die Ankündigung der Firma MAL, den Menschen eine Entschädigung von lediglich 110.000 Euro zu zahlen, ist nicht nur inakzeptabel, sondern angesichts der Todesfälle, der Verletzten und der Schäden vor Ort hochgradig zynisch", hieß es am Donnerstag in einer Aussendung.

Die beiden Hauptaktionäre zählen nach Angaben der Umweltschutzorganisation "zu den dreißig reichsten Ungarn und besitzen gemeinsam ein Vermögen von 39,5 Milliarden Forint, umgerechnet ergibt das 145 Millionen Euro", sagte Greenpeace-Chemiker Herwig Schuster.

Task-Force im Umweltministerium

Auch die österreichische Bundesregierung hat auf die Umweltkatastrophe reagiert: "Eines ist sicher, dass rasch geholfen werden muss", betonte Umweltminister Niki Berlakovich. "Bei Katastrophen dieses Ausmaßes ist es selbstverständlich, dass Nachbarn einander helfen. Daher habe ich eine Task-Force im Umweltministerium eingerichtet, die prüft, wie wir helfen können." Für Österreich gab Berlakovich Entwarnung: "Es besteht nach derzeitigem Stand keine Gefahr." Die Luftmesskontrollen werden in den grenznahen Messstellen erhöht und nunmehr täglich statt wöchentlich durchgeführt. "Es geht darum, den Menschen Sicherheit zu geben."

Weiter unklar bleibt, wie giftig und gefährlich der Rotschlamm für Menschen, Tiere und Umwelt tatsächlich ist. Greenpeace hat bereits am Dienstag Proben gezogen und erwartet erste Labor-Ergebnisse für Freitag.

(APA/red.)

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