Der ökonomische Blick

Die globale Mindeststeuer

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Anfang Juli haben sich 130 Länder auf einen historischen Kompromiss geeinigt, der auf zwei Säulen beruht.

Seit den 1980er Jahren sind die Körperschaftsteuersätze global deutlich zurückgegangen, unter anderem befeuert durch einen intensiven internationalen Steuerwettbewerb. So ist der durchschnittliche Körperschaftsteuersatz weltweit seit 1980 von vierzig Prozent auf 24%, in der Europäischen Union seit 1995 von 35% auf 21% gesunken. Nachdem die engen Budgetspielräume nach der Finanz- und Wirtschaftskrise diesem Unterbietungswettbewerb im vergangenen Jahrzehnt eine Pause verordnet hatten, mehrten sich in den letzten Jahren die Anzeichen für eine neue Runde im globalen Steuerwettbewerb. Die aktuelle Krise, die die Staatshaushalte stark belastet, wird es zwar für viele Länder schwieriger machen, wieder in den Steuersenkungswettbewerb einzusteigen. Dennoch sind steuerliche Wettbewerbsfähigkeit und die Notwendigkeit von Unternehmenssteuersenkungen in vielen Ländern ein Dauerthema.

Auch findet weltweit Gewinnverschiebung in bedeutendem Ausmaß statt: Multinationale Unternehmen lassen ihre Gewinne dort anfallen, wo sie am geringsten besteuert werden. In den Blick geraten sind jüngst vor allem die großen Digitalkonzerne, die hohes Wachstum und Profitabilität aufweisen, sich gleichzeitig aber gemäß umfangreicher anekdotischer Evidenz der Besteuerung recht erfolgreich entziehen. Eine Reihe von empirischen Studien legen beträchtliche Steuerausfälle durch Gewinnverschiebung nahe. Damit sind mehrere Probleme verbunden. International tätige Unternehmen erlangen einen Wettbewerbsvorteil gegenüber binnenorientierten Unternehmen, die solche Möglichkeiten zur konzerninternen Steuerminimierung nicht nutzen können. Je weniger es den Staaten gelingt, Multinationale Unternehmen angemessen zu besteuern, desto mehr müssen immobile Steuergrundlagen, also Arbeit und Konsum, zur Besteuerung herangezogen werden, mit verteilungs-, aber auch beschäftigungspolitisch unerwünschten Folgen. Nicht zuletzt erhöht sich der Steuerwiderstand, wenn Multinationale Unternehmen keinen angemessenen Beitrag zur Staatsfinanzierung leisten, während Arbeit und Verbrauch oft recht hoch besteuert werden.

Eine erste große international koordinierte Initiative gab es nach der letzten Finanz- und Wirtschaftskrise, die in vielen Ländern die öffentlichen Haushalte stark belastete. Die daraus resultierende OECD-weite Initiative unter dem Titel „BEPS“ konnte in den letzten Jahren erste Erfolge zur Beschränkung der Erosion der Steuerbasis und der internationalen Gewinnverschiebung verbuchen. Seit einigen Jahren wird auf OECD-Ebene an einem Regelwerk für eine effektivere Besteuerung auch der Digitalunternehmen gearbeitet. Wegen der unterschiedlichen Interessenlagen der Länder war es bisher allerdings schwierig, gemeinsame Lösungen für eine wirksame Besteuerung der Multinationalen Unternehmen zu finden.

Jüngst ist in diese Debatte neuer Schwung gekommen. Zu den bekannten Argumenten kommen neue Aspekte hinzu. So setzt sich die neue Biden-Administration in den USA vehement für globale Lösungen ein. In Europa haben in letzter Zeit mehrere Länder unilateral Digitalsteuern eingeführt, als Ersatz für eine globale oder wenigstens europäische Lösung, so dass ein Flickenteppich aus unkoordinierten Digitalsteuern zu entstehen droht. Und auf EU-Ebene gibt es eine rechtlich verbindliche Einigung auf die Einführung einer Digitalsteuer als neues EU-Eigenmittel zur Rückzahlung der gemeinsamen EU-Schulden, die zur Finanzierung des europäischen Aufbaupaketes „NextGenerationEU“ aufgenommen werden.

Ein historischer Kompromiss

Anfang Juli haben sich nun 130 Länder auf einen durchaus historischen Kompromiss geeinigt, der auf zwei Säulen beruht. Säule 1 zielt auf hoch profitable Unternehmen ab, die in ihren Absatzländern keine physische Präsenz haben – das sind auch, aber nicht nur die großen Digitalunternehmen. Nach derzeitigem Verhandlungsstand dürften etwa 100 Konzerne weltweit betroffen sein. Mindestens zwanzig Prozent der über eine Standard-Umsatzrendite von zehn Prozent hinaus gehenden Residualgewinne dieser Unternehmen werden den Marktstaaten, in denen sie ihre Umsätze machen, zur Besteuerung zugewiesen. Es geht also um eine Umverteilung der Besteuerungsrechte. Davon profitieren jene Länder, in denen die großen Konzerne Umsätze machen, aber keine Steuern zahlen. Dazu gehören nicht nur die Industrieländer, sondern auch die Schwellenländer. Verlierer sind die Sitzländer dieser Konzerne, die einen Teil des Steuerkuchens abgeben müssen.

Säule 2 enthält eine globale Mindeststeuer von 15 Prozent, die in Bezug auf alle Länder, in denen ein Konzern mit einem Jahresumsatz von über 750 Millionen Euro tätig ist, angewendet wird. Staaten bekommen das Recht, die Steuerlast ausländischer Töchter in Niedrigsteuerländern auf 15 Prozent aufzustocken. Gleichzeitig werden konzerninterne Zahlungen von Konzernteilen in Hochsteuerländern zu solchen in Niedrigsteuerländern – etwa in Form von Zinsen oder Lizenzgebühren –, die im Endeffekt der konzerninternen Verschiebung der Gewinne in Niedrigsteuerländer dienen, im Hochsteuerland steuerlich nicht mehr anerkannt. Experten gehen davon aus, dass die Regelung etwa 7.000 bis 8.000 Konzerne erfasst. Unmittelbare Verlierer sind die Länder, in die Multinationale Unternehmen bisher ihre Gewinne verschoben haben: die Niedrigsteuerländer in der EU, etwa Irland oder die Niederlande, aber auch eine Reihe weiterer Steueroasen weltweit.

Welche Länder unter dem Strich von diesen beiden Säulen profitieren und welche eher verlieren, hängt von der konkreten Ausgestaltung des geplanten Regelwerks ab. Entscheidende Stellgrößen sind die Umsatz- und Gewinngrenzen, bei deren Überschreitung Konzerne unter die Regelung von Säule 1 und Säule 2 fallen; die angenommene Standard-Umsatzrendite sowie der Anteil der den Absatzländern zugewiesenen Residualgewinne unter Säule 1; sowie der Mindeststeuersatz unter Säule 2. Letztere kommt vorwiegend den Hochsteuerländern zugute, allen voran den USA. Die Umverteilung der Besteuerungsrechte unter Säule 1 kann dagegen auch Entwicklungs- und Schwellenländern, die unter dem herrschenden globalen Unternehmenssteuerwettbewerb besonders stark leiden, in Form eines größeren Anteils am weltweiten Steuerkuchen nützen.

Häufig ist in den letzten Wochen die geringe Höhe des globalen Mindeststeuersatzes kritisiert worden, der unter dem EU-weiten Durchschnitt sowie den ursprünglich von den USA vorgeschlagenen 21 Prozent liegt. Allerdings gibt es allein in der EU vier Mitgliedsländer mit einem Steuersatz unter 15 Prozent. Die 15 Prozent sind also als Kompromissangebot an diese EU-Länder sowie an andere Niedrigsteuerländer außerhalb der EU zu sehen, die bisher Zielländer von Gewinnverschiebung sind. Zudem ist zu berücksichtigen, dass für wirtschaftsschwächere Länder ein zu hoher Mindeststeuersatz problematisch sein kann, weil ihr Spielraum eingeschränkt wird, mit günstigen Unternehmenssteuersätzen sonstige Standortnachteile auszugleichen.

Irland, Estland und Ungarn stimmen nicht zu

Trotz dieses Kompromissangebots haben in der EU Irland, Estland und Ungarn der soeben erzielten Einigung, die auf dem G20-Treffen Ende dieser Woche in Venedig bestätigt werden sollte, nicht zugestimmt. Es ist zu hoffen, dass auch diese Länder dem Regelwerk, das 2023 in Kraft treten soll, noch beitreten. Letztlich könnten auch sie profitieren, denn sie gewönnen Spielraum, ihren Steuersatz auf den Mindeststeuersatz zu erhöhen, was wiederum ihre Einnahmen erhöhen könnte. Und sie würden den Blick wieder mehr auf andere Faktoren lenken, die die Standortqualität strukturell verbessern können, etwa eine gut ausgebaute digitale Infrastruktur oder gut ausgebildete Arbeitskräfte.

Auch wenn vermutlich die derzeit kursierenden Schätzungen zu den möglichen Mehreinnahmen eher optimistisch sind: Die Umsetzung dieses Regelwerkes wäre ein wichtiges politisches Signal, dass ein unregulierter Unternehmenssteuerwettbewerb von der internationalen Staatengemeinschaft nicht länger toleriert wird. Und sie stellte einen guten Ausgangspunkt für die erforderlichen weiteren Schritte zur Zurückgewinnung von Spielräumen für nationale Regierungen zur Gestaltung ihrer Steuersysteme sowie eine global gerechtere Verteilung der Unternehmenssteuereinnahmen dar.

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