Junge Forschung

Wie die Bartmeise zum Bart kommt

„Die Feldarbeit im Schilf ist anstrengend, und man kommt an seine Grenzen“, sagt Mahr. „Aber man ist mittendrin am Puls des Lebens. Das entschädigt für alles.“
„Die Feldarbeit im Schilf ist anstrengend, und man kommt an seine Grenzen“, sagt Mahr. „Aber man ist mittendrin am Puls des Lebens. Das entschädigt für alles.“ Clemens Fabry
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Die Biologin Katharina Mahr vom Wiener Konrad-Lorenz-Institut für Vergleichende Verhaltensforschung untersucht den Einfluss von Hormonen auf Verhaltensweisen.

Wissenschaftlerin zu werden war tatsächlich mein Kindheitstraum“, sagt Katharina Mahr. „Ich habe immer von einer Forschungskarriere fantasiert.“ Als Kryptozoologin wollte sie Tiere, für deren Existenz es nur zweifelhafte Beweise wie Augenzeugenberichte oder Legenden gibt, erforschen. Sie lacht: „Das wäre noch brotloser gewesen als die Verhaltensbiologie.“ Der Scherz hat durchaus einen ernsten Hintergrund. Die 36-Jährige kennt die Härten des Wissenschaftsbetriebs nur zu gut.

Während ihrer Diplomarbeit an der Universität Wien über den Einfluss der UV-Reflexion im Gefieder von weiblichen Blaumeisen auf das Verhalten von Männchen habe sie sich „schwer in die Verhaltensökologie verliebt“. So sehr, dass sie sich sogleich in ihre Doktorarbeit über die Weibchengesänge von Prachtstaffelschwänzen stürzte, ohne die Finanzierung geklärt zu haben. Stipendien und die zusätzliche Arbeit in anderen Forschungsprojekten sicherten die Fertigstellung. Immerhin waren für deren Feldarbeit – die Beobachtung der Singvögel in ihrem natürlichen Lebensraum – mehrere Aufenthalte in Australien notwendig. Schon damals kooperierte Mahr mit Wissenschaftlern des Konrad-Lorenz-Instituts für Vergleichende Verhaltensforschung der Veterinärmedizinischen Universität (Vet-Med) Wien im 16. Bezirk, wo sie mittlerweile tätig ist.

In Wathosen durch den Schilfgürtel

Um in der Forschung bleiben zu können, habe sie hart gekämpft und sich auch von Arbeitslosigkeit nicht entmutigen lassen, sagt sie heute. Über Kleinprojekte ergab sich nach ihrer Promotion schließlich die Chance für eine Zusammenarbeit mit der ungarischen Universität Debrecen. Es folgten ein Schrödinger-Stipendium des Wissenschaftsfonds FWF zur Erforschung der innerartlich sehr unterschiedlichen Lebensgeschichten der Bartmeise und unzählige Zwölf-Stunden-Arbeitstage in Wathosen im Schilf des Halastó-Sees und später auch des Neusiedler Sees.

„Wir haben die Elterntiere, ihre Bruten, ihre Kondition, ihre Gefiedercharakteristika und ihr Verhalten untersucht“, erzählt sie. „Um einzelne Nester zu kontrollieren, mussten wir oft einige Kilometer durchs Wasser waten.“ Jungvögel finden ihre Partner oft einige Wochen, nachdem sie ausgeflogen sind, um manchmal im Herbst bereits selbst zu brüten – eine Ausnahme bei europäischen Singvögeln. Das macht sie zu einem reizvollen Untersuchungsobjekt. Mahr interessiert sich dabei für die sexuelle Selektion, die auf körperliche Merkmale wirkt. Bei der männlichen Bartmeise sind das Gefiederornamente, die einem Bart ähneln: „Je größer und schöner diese ausgebildet sind, desto attraktiver wirken sie auf Weibchen.“ Ornamente sind Qualitätsindikatoren etwa für gute Gene.

Im Zentrum ihrer Forschungen steht das auch im menschlichen Körper vorkommende Hormon IGF-1 und welche Rolle es für die Entwicklung der sekundären Geschlechtsmerkmale sowie ganz generell für die reproduktive Lebensgeschichte spielt. „Einfach gesagt: Manche Arten sind klein und schnelllebig wie die Bartmeise, sie erreichen die Geschlechtsreife sehr früh. Und dann gibt es Arten wie den Blauwal, die sind riesig und reproduzieren sich langsam. Die Frage ist nun, welche Mechanismen das steuern.“

Im Schilfgürtel des Neusiedler Sees und bei den an die Feldarbeit anschließenden Untersuchungen der Bartmeisenpopulation in den Volieren des Konrad-Lorenz-Instituts hat Mahr erste Antworten darauf gefunden. Sie entdeckte, dass hohe IGF-1-Werte bei Männchen mit dem Höhepunkt ihrer Fruchtbarkeitsphase einhergehen. Darüber hinaus zeigte sich, dass die Gefiederqualität bei jenen Vögeln besser ist, die während der Mauser (Gefiederwechsel) mehr IGF-1 im Blut haben. Zudem verlaufe bei ihnen diese risikoreiche Lebensphase schneller.

zur Person

In einem Folgeprojekt will Mahr erforschen, inwiefern das Hormon IGF-1 die Stressresistenz von Tieren beeinflusst. Wie es um das ganz persönliche Stresslevel der vielseitig interessierten Verhaltensökologin – sie kocht gern, klettert und spielt Saxofon – steht, hängt in naher Zukunft allerdings ausnahmsweise nicht nur von den Unsicherheiten des Forschungsalltags ab: Sie erwartet in diesen Tagen ihr erstes Kind.
Katharina Mahr (36) ist Verhaltensbiologin am Konrad-Lorenz-Institut für Vergleichende Verhaltensforschung der Vet-Med-Uni Wien. Für ihre Projekte kooperierte sie mit der australischen Flinders University und der ungarischen Universität Debrecen. Mahr erhielt u. a. ein Erwin-Schrödinger-Stipendium des österreichischen Wissenschaftsfonds FWF.

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("Die Presse", Print-Ausgabe, 03.07.2021)

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