Asyl

Türkis-grüne Schuldzuweisungen in der Asylfrage

Warum wurde nicht abgeschoben? Justizministerin Zadić und Innenminister Nehammer geben unterschiedliche Antworten.
Warum wurde nicht abgeschoben? Justizministerin Zadić und Innenminister Nehammer geben unterschiedliche Antworten. APA
  • Drucken

Der Fall der getöteten 13-Jährigen beschäftigt die Politik. Innen- und Justizressort beklagen jeweils Fehler des anderen. Karl Nehammer ist für und Alma Zadić gegen Gesetzesverschärfungen.

Wien. Mittlerweile befinden sich im Fall des getöteten 13-jährigen Mädchens drei dringend tatverdächtige Afghanen in Untersuchungshaft. Ein 16- sowie ein 18-Jähriger sitzen dort bereits seit einigen Tagen. Über einen 23-Jährigen wurde vom Landesgericht für Strafsachen am Sonntag die U-Haft verhängt. Nach einem vierten möglichen Beteiligten wird noch länderübergreifend gefahndet. Bei ihm handelt es sich um einen aus Afghanistan stammenden 22-Jährigen.

Mehrere der Verdächtigen waren vorbestraft und hatten eigentlich ihren Schutzstatus verloren. Sie sind allerdings nicht abgeschoben worden. Das sorgt seit Tagen (auch) für politische Diskussionen. Das türkis geführte Innenministerium beschwerte sich darüber, dass man zwei der Verdächtigen trotz Vorstrafen nicht habe abschieben können, weil das Bundesverwaltungsgericht (liegt im Zuständigkeitsbereich des Justizministeriums) jahrelang nicht über die Beschwerde gegen die Abschiebung entschieden habe. Damit schob man die Verantwortung in Richtung der grünen Justizministerin.

„Gibt genügend Möglichkeiten“

Die wehrte sich am Sonntag. Zu ihrem Amtsantritt, sagte Alma Zadić (Grüne) im Interview mit der „Kronen-Zeitung“, habe es beim Bundesverwaltungsgericht tatsächlich einen Rückstau von 33.000 Beschwerdeverfahren gegeben. Mittlerweile habe man das auf knapp die Hälfte senken können.

Im konkreten Fall hätte aber ohnehin das Bundesamt für Fremdenrecht und Asyl (liegt im Zuständigkeitsbereich des Innenministeriums) selbst die Möglichkeit gehabt, dieses Verfahren mit Fristsetzungsanträgen zu beschleunigen. Außerdem hätte man dort, wie die Ministerin sagte, bei einer Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder öffentlichen Ordnung „die aufschiebende Wirkung“ der Beschwerden der vorbestraften Afghanen gegen ihre Abschiebung aufheben können.

Insofern sieht sie keinen Anlass für eine Verschärfung der Gesetze. „Unsere Gesetze bieten genügend Möglichkeiten, man muss sie aber auch konsequent anwenden“, sagte Zadić. Damit spielte sie den Ball zurück zu Innenminister Karl Nehammer (ÖVP), und zwar, obwohl sie betonte, sich davor zu „hüten, jemandem die Schuld zuzuschieben“. Es müssten beide Ressorts Fehler suchen und Verbesserungen vornehmen.

Direkt reagierte der Innenminister nicht auf den Vorwurf. Es meldete sich aber das angesprochene Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl (BFA) in einer Aussendung zu Wort. Es wies die Behauptung zurück, das BFA hätte die Gerichtsentscheidung über die Beschwerde gegen die Abschiebung beschleunigen können. Das Bundesverwaltungsgericht wäre gesetzlich grundsätzlich zu einer Entscheidung binnen drei Monaten verpflichtet gewesen. Ein Fristsetzungsantrag sei daher eigentlich nicht notwendig.

Auch die Darstellung, dass es für das BFA die Möglichkeit gegeben hätte, die aufschiebende Wirkung der Beschwerden aufzuheben, sei falsch. Eine aufschiebende Wirkung könne nur „gegen eine abweisende Entscheidung über einen Antrag auf internationalen Schutz“ erfolgen. Ein solcher Fall liege allerdings nicht vor. Hier gehe es um eine Aberkennung eines bereits erteilten Schutzstatus aufgrund von Straffälligkeit, also ein Aberkennungsverfahren und nicht um ein Zuerkennungsverfahren.

„Sofort außer Landes bringen“

Bereits vor diesem Schlagabtausch ist ein Interview mit Innenminister Nehammer in der Tageszeitung „Österreich“ erschienen. In diesem spart auch er bei dem Thema Asyl nicht mit Kritik am Koalitionspartner. „Die Grünen und die SPÖ haben vor Kurzem noch einen Abschiebestopp nach Afghanistan gefordert. Das wird es mit mir sicher nicht geben.“ Er hält gesetzliche Änderungen – anders als die grüne Justizministerin – sehr wohl für nötig. Die möchte Nehammer auf EU-Ebene anstoßen.

„Das EU-Asylsystem ist völlig falsch aufgesetzt.“ Insbesondere stört ihn, dass das EU-Recht Abschiebungen blockiere, bevor das Gericht entschieden habe. „Wir sind gezwungen, die Entscheidungen abzuwarten, obwohl es sich um Straftäter handelt“, so der Minister. Und weiter: „Das EU-Asylsystem kann so nicht funktionieren. Straffällige müssen sofort außer Landes gebracht werden können – sie haben unser Gastrecht missbraucht und hier nichts verloren.“ Für weitere türkis-grüne Debatten dürfte es also noch genügend Stoff geben. (APA/red.)

("Die Presse", Print-Ausgabe, 05.07.2021)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Drei Tatverdächtige befinden sich mittlerweile in U-Haft.
Wien

Fall Leonie: U-Haft über dritten Verdächtigen verhängt

Der 23-Jährige, aus Afghanistan stammende Verdächtige zeigt sich nicht geständig.
Fundort der getöteten 13-Jährigen in Wien-Donaustadt
Faktencheck

Wie kriminell sind Afghanen wirklich?

Afghanische Staatsbürger in Österreich sind bei Drogendelikten, Gewalt und Sexualstraftaten in der Kriminalstatistik überrepräsentiert. Aber bei der Interpretation ist Vorsicht geboten, manches muss man in Relation setzen. Dass mehr passiert, ist aber evident.
Wohnkomplex in der Donaustadt: Fundort der Leiche
Verurteilt

Getötete 13-Jährige: Gesuchter Verdächtiger drei Mal vorbestraft

Der 22-Jährige - ebenso wie drei bereits festgenommene Verdächtige afghanischer Herkunft - wurde seit 2018 drei Mal gerichtlich verurteilt, zuletzt im Vorjahr. Dabei war schon 2017 seine Abschiebung für zulässig erklärt worden.
Kerzen und Blumen an dem Ort (Wien-Donaustadt), an dem das tote Mädchen gefunden wurde.
Wien

13-Jährige getötet: Zwei Verdächtige in U-Haft

Wegen des Verdachts der Vergewaltigung mit Todesfolge sind im Fall der getöteten 13-Jährigen zwei afghanische Flüchtlinge am Freitag in U-Haft genommen worden.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.