Mozart. Das Schöne für Joana Mallwitz? „Dass diese Wahnsinnsmusik aus einer Person mit Ecken und Kanten herauskam.“
Salzburger Festspiele

In ständigem Dialog mit Mozart

Wolfgang Amadeus Mozart: Gleich zwei seiner großen Opern sind diesen Sommer bei den Salzburger Festspielen zu sehen. Teodor Currentzis wird „Don Giovanni“, Joana Mallwitz „Così fan tutte“ dirigieren. Zwei große Künstler, die wohl unterschiedlicher nicht sein könnten. Doch eines verbindet Mallwitz und Currentzis zweifellos: ihre Liebe zu Mozart.

Warum fühlen wir mit Don Giovanni, obwohl er doch eine so böse Figur ist? Der Dirigent Teodor Currentzis weiß, warum er ein Held ist. Nicht nur für uns, auch für Wolfgang Amadeus Mozart.

Teodor Currentzis:
Teodor Currentzis: (c) Alexandra Muraveva

Sprechen Sie manchmal mit Mozart – oder er mit Ihnen?

Ja, natürlich. Wir alle sind in einem ständigen Dialog mit ihm. Mozart ist ein Familienmitglied. Ich wurde mit seiner Musik geboren, ich tat meine ersten Schritte zu seiner Musik. Ich glaube, ich wäre sehr überrascht, wenn ich mit ihm wie mit einer realen Person sprechen könnte. Denn er ist ohnehin schon so real für mich, ich könnte ihn gar nicht mehr anders sehen als so, wie ich ihn mir all die Jahre vorgestellt habe. Mozart ist mit mir gewachsen, aber immer jung geblieben. Rossini sagte einmal sinngemäß: Auf Mozart war ich meine ganze Jugend lang eifersüchtig, in meinen reiferen Jahren verzweifelte ich an ihm und im Alter war er mein Begleiter. Das ist wunderschön. Mit diesem Komponisten steht man ein Leben lang in einem dialektischen Austausch. Mit seiner Musik ist man nie fertig, man kommt immer wieder zu ihr zurück.

Dieses Jahr dirigieren Sie in Salzburg „Don Giovanni“. Eine Oper, von der Sie sagen, sogar viele exzellente Dirigenten hätten sie falsch gelesen. Wie lesen Sie „Don Giovanni“?

Es ist ein sehr allegorisches Drama und in vielerlei Hinsicht auch ein satirisches. In zehn Sekunden wechselt die Stimmung von urkomisch zu einer sehr profunden Theologie. Es gibt eine große Bandbreite von wichtigen und unwichtigen Themen, die in einer surrealistischen Symbiose stehen. All diese Widersprüche und Kontraste sind sehr schwer zu fassen. Wenn man das Ganze zu ernst angeht, liegt man nicht richtig. Ist man zu komisch, ist es auch falsch. Stellen Sie sich jemanden vor, der lächelt. Aber wenn man genau hinschaut, sieht man seine Zähne, an denen das Blut herunterrinnt. Das meine ich, wenn ich im Zusammenhang mit Don Giovanni von allegorisch spreche. 

Wenn man das Libretto von Da Ponte liest, hat man wenig Sympathien für Don Giovanni. Hört man jedoch Mozarts Musik, fühlt man mit ihm, obwohl er ein Mörder ist, Frauen mies behandelt und jede Moral mit Füßen tritt. Wie erklären Sie sich das?

Ja, so ist es, und das ist irgendwie paradox, weil er ja eigentlich ein Bösewicht ist und alles andere als ein Held. Und man mag Don Giovanni auch nicht, weil Mozarts Musik so schön ist, sondern weil er ein Revolutionär ist. Wir träumen insgeheim, so zu sein wie er, aber wir haben eben nicht den Mumm dazu. Darum muss er auch am Ende sterben. So können wir sagen: „Ah gut, dass dieser Bastard tot ist.“ Was ich daran liebe, ist, dass das Publikum innerlich ganz erregt ist, aber nach außen sagt: „Oh, Don Giovanni, was für ein schrecklicher Mensch!“

Den nicht einmal der Tod das Fürchten lehrt.

Nein, er nutzt alles zu seinem Vorteil, sogar den Tod. Er bereut nichts, sondern sagt: „Alles ist Liebe“, „Tutto è amore“. Er opfert alles, jede Moral, nur um sich der Liebe und Freiheit hinzugeben. Für Mozart ist Don Giovanni der wahre Held der Geschichte. 

„Die Magie Mozarts kann man nicht erklären“, sagt Joana Mallwitz, die auch dieses Jahr „Così fan tutte“ bei den Salzburger Festspielen dirigieren wird. Ein Gespräch über Götterfunken, Angst zu scheitern, Hingabe und Vertrauen.

Joana Mallwitz:
Joana Mallwitz: (c) Nikolaj Lund

Können Sie sich an den Moment erinnern, an dem die Musik von Wolfgang Amadeus Mozart auf Sie erstmals bewusst Eindruck gemacht hat?

Es gab viele solch prägender Momente in meiner Kindheit. Mozart gehörte von früh an immer dazu. Ich spiele Klavier, seitdem ich drei Jahre, und Geige, seitdem ich fünf Jahre alt bin. Mozart habe ich sehr bald gespielt und geliebt. An einen Moment allerdings erinnere ich mich noch sehr genau. Ich war in der Frühphase meines Studiums, als ich zu meinem Musiktheorieprofessor ging und sagte: „Können Sie mir helfen, ich verstehe Mozart noch nicht.“ Er schaute mit mir daraufhin die C-Dur-Arie „Dove sono i bei momenti“ der Gräfin aus „Figaros Hochzeit“ an. Ich fand sie wunderschön. „Und jetzt schaust du dir an, was im Rezitativ direkt davor passiert“, sagt er dann. In diesem Übergang vom letzten Akkord des Rezitativs zur C-Dur-Arie ist alles begründet, was man über die Magie von Mozart wissen muss.

Warum wollten Sie Mozart von Ihrem Lehrer erklärt haben?

Das weiß ich nicht mehr genau. Ich glaube, ich habe damals irgendein Klavierstück gespielt und bin nicht so richtig weitergekommen. Deshalb ging ich zu ihm, denn ich wusste genau, alles zu Mozart musste ich ihn fragen. Und anstelle mir etwas zu erklären, forderte er mich auf, diesen Übergang in dieser Oper anzuschauen.

Und verstanden Sie Mozart danach tatsächlich besser?

Ich verstand, dass man die Magie Mozarts nicht erklären kann. So sehr man auch versucht, herauszufinden, was dieser Übergang mit einem macht, warum er so jenseitig und gleichzeitig so menschlich ist, man wird keine Antwort finden. Oder eben nur die eine: „Das gibt es nur bei Mozart.“ Wobei: Damals war ich erst 14 Jahre alt und kannte vor allem Geigen- und Klavierstücke von Mozart, aber nicht seine Opern oder Symphonien. Das kam dann erst. Heute kann ich Mozart gar nicht anders begreifen als als Opernkomponisten. Wenn ich eine Klaviersonate spiele oder eine Symphonie aufführe, der Opernkomponist Mozart ist für mich die ganze Zeit spürbar – in den Übergängen, in den Wechseln, in den Farben, in den Tempi.

Mozart wird geliebt – und Mozart wird gehasst. Bei jedem Probespiel, bei jedem Vorsingen auf der ganzen Welt, müssen Künstler ihr Können anhand seiner Musik unter Beweis stellen. Warum eigentlich?

Ja, Mozart ist Pflicht, weil man am Ende bei ihm eben alles hört. Man kann sich bei ihm hinter nichts verstecken. Sowohl die Ehrlichkeit des musikalischen Ausdrucks als auch die Technik muss einfach da sein. Bei Mozart gibt es kein Bluffen.

Mozarts Musik bewegt zutiefst. Glauben Sie, dass er ganz genau wusste, wie er zu schreiben hat, um solche Emotionen zu bewirken, oder gelang ihm das intuitiv?

Beides. Man muss sich klar machen, dass Mozart alles an musikalischem Handwerk zur Verfügung gestanden ist. Er bekam von Kindesbeinen an die Sprache der Musik dargeboten mit allem, was dazu gehörte. Gleichzeitig hatte er das Talent, alles in sich aufzusaugen. Er wusste genau, welche Taktart er zu wählen und wie er zu instrumentieren hatte, wenn er diese oder jene Farbe zeichnen wollte. Und dann kam dazu noch das, was man wohl Götterfunke nennen muss und nicht erklären kann, seine Musik aber so einzigartig und unverwechselbar macht.

Wie haben Sie sich dem Menschen Mozart genähert?

Ich habe viel über ihn gelesen, seine Briefe, die Biografien. Jene von Wolfgang Hildesheimer lese ich immer wieder, sie ist so genau recherchiert und so ehrlich. Auch der Film „Amadeus“ von Miloš Forman war wichtig für mich. Er ist so gut! Er räumte mit der Verklärung Mozarts auf und diesem Mozartkugelbild, auf dem er so perfekt aussieht. So war er nicht. Das ist gerade das Schöne. Dass diese Wahnsinnsmusik aus einer Person mit vielen Ecken und Kanten herauskam, aus jemandem, der einen ganz merkwürdigen Humor hatte.

2020 haben Sie gemeinsam mit Regisseur Christof Loy unter schwierigen Rahmenbedingungen eine gekürzte Fassung von „Così fan tutte“ in Salzburg auf die Bühne gebracht. Dieses Jahr spielen Sie die Coronafassung erneut. Gab es Überlegungen, an ihr etwas zu verändern?

Nein, weil wir Corona leider noch nicht hinter uns haben. Und letztlich ist diese Fassung auch ein Zeitzeugnis, sodass wir uns entschieden haben, diese Produktion genauso beizubehalten.

Bei allen Streichungen war es Ihr Anliegen, den Geist Mozarts zu erhalten. Kein leichtes Unterfangen.

Stimmt. Andererseits bin ich mir sicher, dass Mozart der Erste gewesen wäre, der eine Fassung gefunden hätte, die man während der Coronazeiten spielen kann. Die Urfassung von Anfang bis zum Schluss wurde – auch zu Mozarts Zeiten – nie originalgetreu gespielt. Für jedes Haus, für jeden Sänger hat er die Oper adaptiert. Uns ist oft nicht mehr bewusst, dass Mozart Arien immer konkret für bestimmte Personen geschrieben hat. Er hat etwa bei „Così fan tutte“ mit einer Sängerin von Anfang an die Rolle der Despina erarbeitet. Wenn sie einen Ton nicht traf, schrieb er die Noten um oder änderte ein paar Takte. So tat er es immer wieder.

Der Geist Mozarts ist also nicht nur in der Urfassung seiner Stücke zu finden.

Nein, seinen Geist bewahrt man, wenn man mit der größtmöglichen Genauigkeit und Empfindsamkeit an das Stück herangeht. Aber natürlich schmerzte mich jede Note, die ich streichen musste, denn sie alle sind gut.

Hatten Sie je Angst, an Mozart zu scheitern?

Nicht nur ich, jeder meiner Musikkollegen hat das, und alle sagen: „Mozart ist das Schwierigste.“ Gerade wenn man mit einem Orchester musiziert, funktioniert Mozart nur mit Hingabe und dem größten Vertrauen aller aufeinander. Nur dann kann man gemeinsam erreichen, was man erreichen möchte. Das ist Musizieren.

Mehr Informationen unter: www.salzburgerfestspiele.at

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