Immobilienkrise: Weiteres Debakel für die US-Banken

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Immobilienkrise Weiteres Debakel fuer(c) AP (J Pat Carter)
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Mehrere Großbanken haben Zwangsversteigerungen suspendiert, weil sie von der schieren Flut der Fälle überfordert waren und keine individuelle Prüfung vorgenommen haben. Besonders betroffen: Las Vegas und Phoenix.

Mit Sack und Pack haben Rodney Waters, seine Verlobte Terri Reese und ihre vier Kinder der Aufforderung des Gerichts Folge geleistet und ihr Eigenheim in Middlesburg in Florida geräumt, das sie vor vier Jahren bezogen haben. Der Angestellte einer Verpackungsfirma konnte seine Hypothekenraten nicht mehr begleichen. Das Haus hat seit dem Kauf rapide an Wert verloren und steht nun zur Zwangsversteigerung an, die in Florida im Schnellverfahren durchgeführt wird.

Rodney Waters steht jetzt mit 264.000 Dollar in der Kreide – und samt seiner Familie womöglich bald ganz auf der Straße. Das Schicksal der Waters-Reese-Familie trifft seit dem Einbruch des Immobilienmarkts vor drei Jahren hunderttausende Familien im ganzen Land. Insgesamt flatterte zwei Millionen Haushalten der Gerichtsbeschluss der Exekution ins Haus, weitere zwei Millionen sind akut bedroht. Die Opfer ziehen in Motels, flüchten zu ihren Verwandten und schlafen in ihren Kinderzimmern, auf Notbetten oder der Wohnzimmercouch. Und sie versuchen – wie hunderte Betroffene in Los Angeles – Einspruch einzulegen, um die Zwangsvollstreckung abzuwenden oder zumindest hinauszuzögern.

Wie eine Seuche

Die USA, eine Nation von Eigenheimbesitzern, stöhnen unter dem Preisverfall ihrer Häuser – ihrer Anlage, die eigentlich von Jahr zu Jahr an Wert zulegen sollte. Wie eine Seuche hat die Zwangsvollstreckung ganze Gebiete erfasst – von Florida bis Kalifornien. Besonders krass hat es einstige Boomstädte wie Las Vegas in Nevada oder Phoenix in Arizona erwischt, wo sich viele Senioren und Immigranten ansiedelten.

Die US-Gerichte sind hoffnungslos überfordert mit der Papierflut. In Orange County und Osceola County in Florida wälzten sich drei Richter allein im Juli durch 1319 Fälle, wie das Fachblatt „The Florida Bar News“ berichtete. Sie sind genauso überfordert von der schieren Zahl der Schuldner wie die Bankangestellten, die die Papiere oft automatisch per sogenannter „Robo-Unterschrift“ signiert und so bis zu 6000 Fälle pro Woche zur Zwangsversteigerung ausgeschrieben haben – ohne eine eingehende Prüfung der individuellen Fälle vorzunehmen, wie das Gesetz es vorschreibt.

Nachdem die Banken die Hypotheken zuerst zu Bestpreisen und ohne Kontrollmechanismen verschleudert haben, sind sie jetzt mit den Folgen konfrontiert – und mit einer neuen Blamage, die erneut ein übles Licht auf ihre Geschäftspraktiken wirft. Denn mehrere Großbanken – darunter die Bank of America und JPMorgan Chase – haben inzwischen von sich aus die Zwangsversteigerungen für einige Monate ausgesetzt. Allein JPMorgan hat damit 56.000 Haushalten eine Gnadenfrist eingeräumt. Finanzexperten erwarten, dass weitere Banken dem Beispiel folgen werden. Was für Rodney Waters und andere ein Hoffnungsschimmer ist, ist für die Banken der nächste Tiefschlag.

Zu einer Zeit, da der Komplex Wall Street und Immobilienkrise während des Wahlkampfs für die Kongresswahl am 2. November hochkocht, bemächtigt sich selbstverständlich auch die Politik des Themas. Nancy Pelosi, die demokratische Vorsitzende des Repräsentantenhauses, plädierte gleich für einen Stopp der Zwangsversteigerungen. Jerry Brown, der Justizminister und demokratische Gouverneurskandidat in Kalifornien, hat sich ebenso für eine einstweilige Suspendierung ausgesprochen. Und in Connecticut hat der Generalstaatsanwalt – und Senatskandidat Richard Blumenthal ein 60-tägiges Moratorium verhängt.

Eine pikante Ironie an der Sache ist, dass die Banken tausende neue Mitarbeiter einstellen hätten müssen, um der Bürokratie Herr werden zu können – und das zu einer Zeit, da sie selbst tausende Mitarbeiter entlassen haben.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 08.10.2010)

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