Pausenlos. Igor Levit fordert sich und sein Publikum mit Stevensons „Passacaglia“.
Salzburger Festspiele

Ausschweifende harmonische Abenteuer

Marathonkompositionen und Hommagen treffen auf Rätselhaftes, Unergründliches. Solistengriffe nach Sternen, Traditionellem und raren Gelegenheiten.

Festspiele sind auch der Ort, Ungewöhnliches zu realisieren. Einer der Künstler, die in der jüngsten Salzburger Festspielgeschichte besondere Akzente gesetzt haben, ist Igor Levit. Er bleibt seiner Linie treu, ungewöhnliche Programme zu präsentieren, und bestreitet gleich den ersten Soloabend der diesjährigen Festspiele mit der Aufführung einer Marathonkomposition für Klavier, der „Passacaglia über D-Es-C-H“ von Ronald Stevenson. Diese Hommage an Dmitri Schostakowitsch gehört zu den umfangreichsten Klavierwerken, etwa 70 bis 80 Minuten lang und pausenlos zu spielen, fordert sie Spieler wie Hörer gleichermaßen. Basierend auf den Initialen Schostakowitschs lässt Stevenson seine Fantasie und die seines Publikums schweifen, findet immer neue Varianten und Verwandlungen, baut zwischendurch Abschnitte ein, die sich auf barocke oder klassische Formen beziehen, um zuletzt einer Verdichtung zuzustreben, die dem Pianisten das Äußerste abverlangt: Mehrere komplexe Fugen bilden den dritten und letzten Teil dieser „Passacaglia“, die nach einem letzten emotionalen Höhepunkt einem resignierend-stillen Abschluss zustrebt.

Auch der zweite Abend Igor Levits greift nach den Sternen: Mit den tiefgründigen späten Impromptus von Franz Schubert, die posthum unter dem Titel „Drei Klavierstücke“ erschienen sind (D 946), und der „Siebenten Klaviersonate“ Sergej Prokofieffs, einer der drei sogenannten „Kriegssonaten“ des Komponisten, die zu den Gipfelwerken der Pianistik des 20. Jahrhunderts zählen. Die Siebente endet mit einer atemberaubenden Toccata und rundet damit ein Programm ab, das mit einem virtuosen Akt ganz anderer Art beginnen wird: Franz Liszts Transkription von Beethovens „Dritter Symphonie“, der „Eroica“ kondensiert eines der inhaltlich und formal immensen Orchesterwerke des Repertoires in ein Klavierwerk eigenen Rechts. Wer, wenn nicht Igor Levit könnte uns davon überzeugen?

»In guter Musik müssen Themen Schicksale erleiden. «

Am 3.  August musizieren Renaud Capuçon und Grande Dame Martha Argerich ein vergleichsweise traditionelles Programm für Violine und Klavier mit Sonaten Schuberts und Schumanns sowie der frühen, lebenssprühenden Violinsonate von Richard Strauss. Eines der rätselhaftesten Werke von Franz Schubert konfrontiert Arcadi Volodos am 10.  August mit Johannes Brahms’ „Klavierstücken“ op. 118, einer Folge von höchst unterschiedlichen Charakterstücken aus der Spätphase des Komponisten. Die folgende „große“ A-Dur-Sonate Schuberts mit ihren zum Teil lieblich-biedermeierlich anmutenden Themen steigert sich immer wieder in unergründlich grübelnde Passagen und droht im langsamen Satz geradezu zu kollabieren. Danach ist auch die lichteste Melodie nicht mehr „unschuldig“. Durchaus doppelbödig geht es beim vordergründig pianistisch-brillanten Programm von Grigory Sokolov am 5. August zu: Die „Préludes“ von Sergej Rachmaninow erzählen ebenso Geschichten wie die „Polonaisen“ von Frédéric Chopin, die einen der Nationaltänze seiner Heimat in politisch brisanten Zeiten für den Pariser Salon stilisieren.

Ausdrücklich. Evgeny Kissin spannt den  Bogen von Berg über Gershwin zu Chopin.
Ausdrücklich. Evgeny Kissin spannt den Bogen von Berg über Gershwin zu Chopin. (c) Sashagusov Emiclassics

Möglichkeiten ausloten

Es war Alban Berg, der später davon gesprochen hat, dass in guter Musik die Themen „Schicksale erleiden“ müssten. Seine Klaviersonate, das Gesellenstück der Lehrzeit bei Arnold Schönberg, steht am Beginn des Klavierabends von Evgeny Kissin (14.  August). Von den harmonischen Abenteuern dieser Musik, die nominell noch in h-Moll steht und zuletzt auch zu dieser Tonart zurückfindet, tritt der Pianist eine Reise durch die Möglichkeiten pianistischer Ausdrucksweise an, die ihn über Miniaturen von Tichon Chrennikow – unter Stalin einer der Blockwarte der sozialistischen Kulturpolitik – und George Gershwin zu Frédéric Chopin führen, dessen Impromptus und Scherzi sich im Gefolge dieser Musik vermutlich beinah so radikal ausnehmen werden wie die eingangs gespielte Berg-Sonate.

Klassisch. Anne- Sophie Mutter und Lambert Orkis widmen sich Beethoven und Mozart.
Klassisch. Anne- Sophie Mutter und Lambert Orkis widmen sich Beethoven und Mozart.(c) Prashant Gupta

Ans Ende des Programms setzt Kissin die berühmte „Militär-Polonaise“, die – der Zufall will es – zwei Tage später auch den Klavierabend von Maurizio Pollini krönen soll. Als Stammgast bei den Festspielen hat der Italiener immer wieder Chopin und Schumann ins Programm genommen, oft kombiniert mit Musik seines Freundes Luigi Nono. Diesmal ist Nono zwar zentral im Salzburger Programm vertreten, doch Pollini belässt es bei den beiden Romantikern. Im Zentrum des ersten Teils: Schumanns große Hommage an Ludwig van Beethoven, die „Fantasie in C-Dur“ op. 17.

Erratisch. Daniil Trifonov geht dem Alterswerk Bachs,  „Die Kunst der Fuge“, nach.
Erratisch. Daniil Trifonov geht dem Alterswerk Bachs, „Die Kunst der Fuge“, nach.(c) Dario Acosta

Ganz auf Schubert beschränkt sich Mitsuko Uchida mit der zweiten Serie der „Impromptus“ (op. 142/D 935) und der „Fantasie-Sonate“ in G-Dur (27. August). In gar kein Konzept passt das Programm von Anne-Sophie Mutter und Lambert Orkis (28. August). Die beiden verbeugen sich mit Mozarts „e-Moll-Sonate“ (KV 304) vor dem Genius Loci, um mit Beethovens „Frühlingssonate“ und César Francks Violinsonate fortzusetzen.

Dem steht eine Reihe streng programmierter Abende gegenüber, die Johann Sebastian Bach gewidmet sind: Am 30. Juli spielt Thomas Zehetmair die Sonaten und Partiten für Violine solo, am 5. August präsentiert Georg Nigl mit Freunden eine Folge von geistlichen Gesängen und Arien, am 11. spielt András Schiff die sechs Partiten für Klavier, am 18. bietet sich im Konzert des Cembalisten Kristian Bezuidenhout mit dem Freiburger Barockorchester unter Gottfried von der Goltz die rare Gelegenheit alle sechs „Brandenburgischen Konzerte“ an einem Abend zu hören. Für alle, die auch etwas sehen möchten: Jean-Guihen Queyras spielt am 20. und 21. August die sechs Cellosuiten, wozu Anne Teresa de Keersmaeker mit ihren Getreuen eine choreographische Arbeit unter dem Titel „Mitten wir im Leben sind“ zeigt. Nur akustisch widmet sich dann am 23. August Daniil Trifonov dem rätselhaften Alterswerk Bachs, „Die Kunst der Fuge“. Eine Antwort auf das kontrapunktische Finale jener ausufernden „Passacaglia“, die Igor Levit zum Auftakt der Festspiele spielt?

Romantisch. Ganz allein auf Schubert konzentriert sich Mitsuko Uchida.
Romantisch. Ganz allein auf Schubert konzentriert sich Mitsuko Uchida.(c) Decca Juustin Pumfrey

Mehr Informationen unter: www.salzburgerfestspiele.at

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