EM 2020

Italiens Gesicht ohne Glanz und Dominanz

Photo LaPresse - Fabio Ferrari July 06, 2021 London, Great Britain soccer Italy vs Spain - Euro 2020 - European Footbal
Photo LaPresse - Fabio Ferrari July 06, 2021 London, Great Britain soccer Italy vs Spain - Euro 2020 - European Footbalimago images/LaPresse
  • Drucken

Die „Squadra“ war gegen Spanien gewiss nicht die bessere Mannschaft und hatte auch das nötige Glück, gewann aber letztlich das Spiel – auch das ist ein Qualitätsmerkmal. Zur Vollendung des Märchens fehlt nur noch ein Sieg.

Die Elfmeterhelden waren überraschend schnell verschwunden. Kurz nach der Gefühlsexplosion vor Tausenden Tifosi in der Kurve des Wembley-Stadions verabschiedeten sich die Italiener Richtung Umkleidekabine. Das Grinsen in den Gesichtern von Giorgio Chiellini, Federico Chiesa und Co. war dabei aber nicht zu übersehen. Mit dem 4:2 im Elfmeterschießen im Gigantenduell mit Spanien war das ganz große Ziel jedoch noch nicht erreicht.

Am Sonntagabend (21 Uhr, live ORF 1, ZDF) greift die „Squadra Azzurra“ gegen England oder Dänemark nach dem ersten großen Titel seit dem WM-Triumph 2006 – es ist das erste große Endspiel seit dem verlorenen Finale bei der EM 2012, als ebendiese Spanier mit 4:0 über sie hinweggefegt waren.

Italiens Coach Roberto Mancini musste nach dem Thriller von London zugeben, dass gegen starke Spanier für sein Team eine große Portion Glück notwendig war. „Es war ein hartes Spiel, sie haben uns in Schwierigkeiten gebracht und wir haben gelitten“, urteilte der 56-Jährige. Mit einer großen Energieleistung hatten sich die zwischenzeitlich doch müde wirkenden Azzurri in die Verlängerung und schließlich ins Elfmeterschießen gerettet, wo Mittelfeldspieler Jorginho den entscheidenden Versuch verwandelte. „Elfmeterschießen ist immer eine Lotterie“, gab Mancini zu.

Rasanter Aufstieg seit 2018

Die Italiener genossen diesen besonderen Abend, diesen besonderen Triumph. „Das war ohne Zweifel die schönste Nacht meiner Karriere. Ein unglaublicher Traum“, sagte Offensivspieler Chiesa, der die Azzurri in Führung gebracht hatte (60. Minute). Eine Führung, die entgegen dem Spielverlauf zustande kam. Italien war erstmals bei diesem Turnier nicht die bessere Mannschaft – und hat dennoch gewonnen. Auch das ist ein Qualitätsmerkmal.

Beim Jubeln auch dabei war ein Trikot des verletzten Leonardo Spinazzola, der sich im Viertelfinale die Achillessehne riss und mehrere Monate ausfällt. Spinazzola war bis dahin die wohl auffälligste Erscheinung in der „Squadra“ gewesen, der Linksverteidiger war ein ständiger Aktivposten. Auch für ihn wollen die Italiener nun den Titel gewinnen. „Ein azurblaues Märchen ohne Ende“, schrieb die „Gazzetta dello Sport“.

Denn die außergewöhnliche Geschichte dieser Mannschaft, die noch vor drei Jahren nach der verpassten WM 2018 auf dem Tiefpunkt war, soll nicht mit einer Finalniederlage enden. „Jetzt fehlt noch ein Spiel“, sagte Mancini mit Blick auf das Endspiel am Sonntag im Wembley-Stadion. Chiesa kündigte an, dass das Team entspannt das zweite Halbfinale verfolgen werde – ohne einen Wunsch für den Gegner: „Wir müssen uns auf uns konzentrieren, das hat uns bis ins Finale gebracht.“

Spaniens rosige Zukunft

Die Spanier trotteten nach dem Fehlschuss ihres letzten Elfmeterschützen, Álvaro Morata, über den gesamten Platz zu ihren Fans auf der anderen Seite, die tröstenden Applaus spendeten. „Im Sport müssen wir lernen, wie man gewinnt, und lernen, wie man eine Niederlage hinnimmt“, sagte Teamchef Luis Enrique. „Ich möchte Italien gratulieren. Wir reisen nach Hause nach Spanien in dem Wissen, dass wir eindeutig zu den besten Teams des Kontinents gehören.“

Das war vor dem Turnier nicht zwingend erwartet worden. Die „Furia Roja“ befindet sich inmitten eines Umbruchs, zudem plagten das Team coronabedingte Ausfälle. Doch Spanien nahm nach einem schleppenden Start mit zwei Unentschieden Fahrt auf, erinnerte phasenweise an den Glanz früherer Tage, als ihr Tiki-Taka-Fußball das Nonplusultra war.

Einzig ein echter Vollstrecker vor dem Tor sollte in den vergangenen Wochen fehlen, das zeigte sich auch gegen Italien. Ein großes Versprechen ist Jungstar Pedri. „Kein 18-Jähriger hat bei irgendeinem anderen großen Turnier das geleistet, was Pedri hier geleistet hat“, sagte Enrique. (cg/ag.)

("Die Presse", Printausgabe 08.07.2021)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:


Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.