Wie sich ein Land sukzessive von EU-Regeln und EU-Werten verabschiedet. Eine Übersicht.
Über ganzseitige Inserate in zahlreichen Tageszeitungen, darunter in der „Presse“, hat Ungarns Ministerpräsident Viktor Orbán seine Probleme mit der EU veröffentlicht. Er warnt vor einem Superstaat, massenhafter Migration, Auslagerung des Rechtsstaats und stellt den Nutzen der EU sogar generell infrage. Umgekehrt wächst die Liste an eigenen Verfehlungen, die ihm von EU-Institutionen und Partnerstaaten vorgeworfen werden. Aktuell laufen gegen Ungarn nicht weniger als 60 Vertragsverletzungsverfahren, zudem ein Artikel-7-Verfahren, das zur Suspendierung des Stimmrechts im Rat der EU führen kann. Die Liste der heikelsten Verfehlungen:
Unterwanderung der Justiz
Nach seinem Wahlsieg im Jahr 2010 war der Umbau der ungarischen Justiz ein zentraler Punkt in Orbáns Bestreben, die Macht der Regierung im Land sukzessive auszuweiten. Er beschnitt die Kompetenzen des Verfassungsgerichts und senkte das Pensionsalter bei Richtern von 70 auf 62 Jahre herunter. Die Gerichte verloren so schlagartig 15 Prozent ihrer Präsidenten, die die Regierung durch gefügigere Nachfolger zu ersetzen trachtete. Die Befugnisse des Nationalen Justizamtes wurden erweitert und reichen von der Ernennung und Beförderung bis zur Versetzung von Richtern. Nach einem EuGH-Urteil durften die pensionierten Richter zwar wieder zurückkehren, allerdings in niedrigere Positionen als zuvor.