Giftschlamm: "Unüblich hohe Mengen an Gift"

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Giftschlamm bdquoUnueblich hohe Mengen(c) REUTERS (HO)
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Die Donau sei außer Gefahr, behauptet Ungarns Regierung, doch Chemiker maßen enorme Giftkonzentrationen im Rotschlamm. Das Ausmaß der Katastrophe ist demnach schilmmer als erwartet.

[BUDAPEST/WIEN]Fünf Tage nach dem Bruch eines Beckens mit Giftschlamm in der westungarischen Stadt Ajka nördlich des Plattensees gab Ungarns Regierung am Freitag Entwarnung für den Donauraum: Jene roten Massen aus Metall- und Siliziumverbindungen und Natronlauge, die über die Flüsse Marcal und Raab am Donnerstag bei Györ die Donau erreichten, seien dort auf ein ungefährliches Niveau verdünnt, das Donauwasser unbedenklich. Die Umweltschutzorganisation „Greenpeace“ aber sagt, die Regierung beschönige die Lage.

Ursprünglich hatte die basisch ätzende Flut einen pH-Wert von 13 bis 14; in der Donau unterhalb der Raab habe man aber mit etwa pH 8 wieder Normalwert gemessen, hieß es seitens des Katastrophenschutzes. Im Fluss Marcal wurde freilich das Leben weitgehend zerstört. Zudem hieß es seitens der Behörden, dass der Wiederaufbau der vom Schlamm anfänglich überspülten Gebiete und Dörfer bei Ajka wenig Sinn habe. Die meisten Häuser sind unsanierbar.

Größte Umweltkatastrophe

Greenpeace präsentierte indes am Freitag in Wien Resultate von Schlammanalysen, die im Umweltbundesamt in Wien sowie in einem Budapester Institut gemacht wurden. Demnach sei das Ausmaß der Katastrophe schlimmer als erwartet, aber weniger wegen des pH-Wert-Problems, sondern vielmehr, weil unüblich große Mengen an Arsen-, Quecksilber- und Chromverbindungen gefunden worden seien (siehe Lexikon).

Der Anteil von Arsen sei doppelt so hoch wie in anderen „Rotschlämmen“. Das Umweltbundesamt maß pro Kilo 110 Milligramm Arsen, 1,3 mg/kg Quecksilber und 660 mg/kg Chrom. Insgesamt seien etwa 50 Tonnen Arsen, 300 Tonnen Chrom und 500 kg Quecksilber in die Umwelt gelangt. Die Böden seien dadurch langfristig unbenutzbar, vor allem das Arsen, das sich erst in Wasser löst, würde allmählich das Grundwasser verseuchen, was am Ende auch Flüsse bedrohe. Insgesamt handle es sich um eine der größten Umweltkatastrophen in Europas Geschichte.

Wie im Golf von Mexiko

Laut Ungarns Behörden wurden etwa 700.000Kubikmeter Rotschlamm frei. Zum Vergleich: Etwa dieselbe Menge rann bei der heurigen Ölkatastrophe im Golf von Mexiko aus, verteilte sich aber dort auf einen weit größeren Raum.

Greenpeace wirft Ungarns Regierung vor, unangemessen reagiert und die Gefahren des Schlamms verheimlicht zu haben. Greenpeace-Mitarbeiter berichten von Menschen, die ohne Schutzkleidung, maximal dürftig mit Papierüberzug bekleidet, durch den Schlamm waten. Polizei und Militär sprächen weder Warnungen noch Verbote aus, um die Menschen vom Schlamm fernzuhalten.

Die Zahl der Toten ist mittlerweile auf sechs gestiegen. Drei Menschen werden vermisst. Ungarn bat die EU-Staaten um Hilfe. Laut EU-Kommission sind Experten für Giftschlamm und Entseuchung in die Unglücksregion gereist. Auch Österreich hat Hilfe zugesagt, in welchem Umfang, ist allerdings noch unklar.

Lexikon

Viele Chromverbindungen sind giftig, wenn sie oral oder über die Lunge resorbiert werden. Ein halber Teelöffel davon kann tödlich sein. Es drohen Irritationen der Augen, Haut und Schleimhäute, bleibende Augenschäden; einige Verbindungen sind karzinogen. Quecksilber und Arsen reichern sich in der Nahrungskette an und wirken als Nervengift. Akut bewirkt Quecksilber Übelkeit, Schwindel, Kopfweh, langfristig drohen Leber- und Nierenschäden. Bei Arsenverbindungen treten akut Krämpfe, Übelkeit, innere Blutungen, auch Tod durch Kreislauf- und Nierenversagen ein, langfristig drohen Tumore an Haut, Lunge und Leber.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.10.2010)

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