Pandemie

Experten warnen Kurz: "Wir müssen jetzt extrem aufpassen"

Ein Wegweiser zum Austria Center Vienna, wo sich Wiener ohne Terminvereinbahrung mit dem Impfstoff von Johnson & Johnson impfen lassen können.
Ein Wegweiser zum Austria Center Vienna, wo sich Wiener ohne Terminvereinbahrung mit dem Impfstoff von Johnson & Johnson impfen lassen können.APA/ROLAND SCHLAGER
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Der Kanzler setzt auf Eigenverantwortung und die Corona-Impfung. Experten ist das zu wenig: Sie pochen auf strengere 3G-Kontrollen und mehr (womöglich kostenpflichtige) Tests.

Experten warnen angesichts der Aussagen von Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP), wonach die Regierung im Zusammenhang mit der Pandemie verstärkt die Eigenverantwortung der Bevölkerung in den Mittelpunkt stellen will, vor zu viel Nachlässigkeit. "Wir müssen jetzt extrem aufpassen, dass wir nicht in eine Lage wie in den Niederlanden kommen, wo sich die Infektionszahlen innerhalb einer Woche versiebenfacht haben", warnte Epidemiologe Gerald Gartlehner in der ORF-Sendung "ZiB2".

Kurz hatte zuvor an alle Bürger appelliert, sich gegen das Coronavirus impfen zu lassen: "Das Virus wird nicht verschwinden, es wird bleiben. Es wird uns noch Jahre beschäftigen", sagte Kurz, der vor wenigen Tagen seine zweite Astrazeneca-Impfdosis erhalten habe. Und er hielt fest: "Für jeden, der geimpft ist, ist die Pandemie vorbei. Für jeden, der nicht geimpft ist, ist das Virus ein massives Problem." Ein Anstieg der Ansteckungszahlen wie jüngst in Südeuropa oder den Niederlanden "wird auch bei uns stattfinden", prophezeite er. "Diese Pandemie kommt in Wellen", anders als bei den bisherigen habe man nun aber die Impfung als "Gamechanger".

Gartlehner für strengere 3G und kostenpflichtige Tests

Mittelfristig sei die Strategie, die Bevölkerung in die Eigenverantwortung zu entlassen, richtig, jetzt sei es dafür aber noch zu früh, konterte Gartlehner dem Vorstoß. Der Epidemiologe sprach sich weiters dafür aus, die 3G-Regeln in der Nachtgastronomie (wonach Personen, um Einlass zu erhalten genesen, getestet oder geimpft sein müssen, Anm.) strenger zu gestalten und kann sich auch vorstellen, Corona-Tests kostenpflichtig zu machen, um die Menschen zur Impfung zu bewegen.

Eine Impfpflicht im Gesundheitsbereich wie in Frankreich hält Gartlehner für überlegenswert. Was die Infektion von Vollimmunisierten betrifft, beruhig er: Diese hätten keine schweren Verläufe.

Auch der Komplexitätsforscher Stefan Thurner warnt vor zu viel Lockerheit. "Wir brauchen einen Sicherheitspuffer. Sollte die Durchimpfungsrate bei circa 60 Prozent stagnieren, wird die Gefahr für große Ausbrüche bleiben“, sagte er dem „Kurier“. Für Simulationsforscher Nikolas Popper ist der aktuelle Anstieg der Zahlen nicht überraschend, er sei die logische Konsequenz aus den Öffnungsschritten. Um die Dynamik zu bremsen, müssten zwei Dinge getan werden: "Möglichst viele Menschen durchimpfen und Testscreenings durchführen", meinte Popper.

SPÖ moniert "Kaltschnäuzigkeit" des Kanzlers

SPÖ-Gesundheitssprecher Philip Kucher stieß sich indes an der "Kaltschnäuzigkeit" des Kanzlers. Offenbar wolle sich Kurz von jeder Verantwortung im Zusammenhang mit dem Pandemie-Management verabschieden: "Wenn er die Pandemie jetzt zur Privatsache erklärt, überlässt er alle, die sich nicht impfen lassen können - Kinder unter 12 Jahren und Menschen, die sich aus Gesundheitsgründen nicht impfen dürfen - der Pandemie."

Umweltmediziner Hans-Peter Hutter plädierte gegenüber Ö1 für weiterhin "einfache, kleinere Maßnahmen" über den Sommer. Das sei besser "als tatsächlich wieder größere Bewegungseinschränkungen hin in den Herbst hinein". Man dürfe nicht vergessen, "es sind noch viele nicht geimpft und einige werden auch nicht impfen gehen, beiziehungsweise einige können auch gar nicht geimpft werden, sodass man sich nur auf das Impfen stützt, aus meiner Sicht wirklich zu wenig ist", sagte der Forscher vom Zentrum für Public Health der MedUni Wien.

(Red./APA)

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