Herrn Häupls teures Gespür für Schmäh

Niederlagen werden auch immer teurer in der Politik: An die 10 Millionen Euro muss die Wiener SPÖ ausgeben, um nicht mehr als 10 Prozent ihrer Stimmen zu verlieren.

Worum geht es bei der Wahl am Sonntag? Um Wien, sagt Michael Häupl. Um den Bürgermeister, sagt die Wahlordnung. Darum, dass der „rosarote Etatismus“ in Wien erhalten bleiben darf, wünscht sich Armin Thurnher im „Falter“. Darum, dass Wien das Pensionistenwohnheim bleibt, das es ist, fürchtet Christian Ortner in der „Presse“.

Thurnhers Wunsch nach rosarotem Etatismus ist mehrheitsfähig (den wünschen sich nämlich auch die Sozialdemokraten von ÖVP, FPÖ und Grünen, die stört nur, dass nicht sie es sind, die sich straflos mit der Stadt verwechseln dürfen). Die Sympathie für Eigenverantwortung und Initiative, Risiko und Abenteuer, die Christian Ortner erkennen lässt, ist eine krasse Minderheitsposition, die von keiner einzigen politischen Gruppierung vertreten wird (auch nicht vom BZÖ, obwohl der Versuch, aus Jörg Haiders Glücksritterorden Ordoliberale zu rekrutieren, rührend ist).

Die Wiener, und das unterscheidet sie kaum von den übrigen Österreichern, werden lieber in einem Pensionistenwohnheim regelmäßig gefüttert, gewaschen und in den Park geschoben, als dass sie es riskieren, sich beim Hausbau den Daumen zu verstauchen. Armin Thurnhers Sehnsucht nach „mehr Staat, weniger privat“ ist eine Mehrheitssehnsucht. Michael Häupl soll den bösen Neoliberalen, die uns die Krise eingebrockt haben, zeigen, dass der Staat (oder eben die Stadt) es besser kann.

Und in der Tat ist die Stadt Wien eine große, sehr erfolgreiche Unternehmerin. Das ist nicht weiter verwunderlich: Dort, wo die für die Rahmenbedingungen verantwortlichen Politiker, die unter diesen Rahmenbedingungen agierenden Unternehmer und die von den Unternehmen versorgten Kunden identisch sind, weil sie alle in der einen oder anderen Weise zur Wiener SPÖ gehören, dort herrschen nach der Vorstellung der Wiener SPÖ ideale Marktbedingungen. Kundenorientierung bedeutet dann, dass der Kunde darüber orientiert wird, was zu geschehen hat. Und zu geschehen hat das, was der Stadt – und das ist in der Vorstellungswelt der Wiener SPÖ die Wiener SPÖ – nützt.

Das in entwickelten Demokratien vorgesehene Korrektiv, Opposition und Medien, existiert in Wien nicht. Die reichweitenstarken Medien sind von der regierenden Partei mit millionenschweren Inseratenaufträgen der im Eigentum der Stadt stehenden Betriebe gekauft und/oder durch freundschaftliche Kontakte zwischen Medieneigentümern und Stadtgewaltigen neutralisiert.

Die Opposition besteht ausschließlich aus der FPÖ. Die hat in einigen wesentlichen Punkten ihrer Wahlkampagne recht, hat sich aber für das Ressentiment und gegen das Argument entschieden, weshalb sie für denkende Gemüter nicht leicht wählbar ist. Grüne und Schwarze betteln in gleichem Maße, aber mit unterschiedlichen Methoden um Zulassung zu den Fleischlaberln des Bürgermeisters: Maria Vassilakou versucht sich dem Bürgermeister durch die Aussicht auf liebevolle Kritik interessant zu machen, Christine Marek setzt unverstellt auf fröhliche Hilflosigkeit.


Sollen die Wiener doch im Pensionistenheim wohnen, wenn sie das wollen, könnte man jetzt einwenden. Eh. Wer von einem ausgebrannten Genussmenschen, dem sein Intellekt den Ausweg aus dem zynischen Souterrain versperrt hat, regiert werden will, soll ihn wählen. Sie haben ja wirklich was, der Grant und der Schmäh. Aber man sollte doch zwischendurch daran erinnern, dass da einer mit dem Geld der Allgemeinheit um sich wirft, als wäre es sein eigenes. Offiziell wird die Wiener SPÖ am Sonntag fünf Millionen Euro für diesen Wahlkampf ausgegeben haben. Wenn man korrekterweise die Werbung der Stadt und ihrer Betriebe dazurechnet, ist es wohl mindestens noch einmal so viel.

Zehn Millionen Euro lässt es sich und uns die Wiener SPÖ also kosten, nicht mehr als zehn Prozent ihrer Stimmen zu verlieren. Niederlagen waren auch schon billiger. Einen Sieg könnte sich wahrscheinlich nicht einmal die Wiener SPÖ leisten. Muss sie auch nicht: Im Wiener Pensionistenwohnheim läuft der Fernseher während der Nachrichten schon längst ohne Ton. Da reicht es, wenn Verlierer wie Sieger aussehen.

E-Mails an: michael.fleischhacker@diepresse.com

("Die Presse", Print-Ausgabe, 09.10.2010)

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