Zwei Berichte, zwei Meinungen: Sowohl das Innen- als auch das Justizministerium hat Experten beauftragt, sich die rechtliche Lage bei Kindesabschiebungen anzusehen. Die Ergebnisse unterscheiden sich naturgemäß – und dem politischen Lager entsprechend.
Zu viele Köche verderben den Brei, heißt es. In der Politik ignoriert man das gern. So passiert beim Thema Kindesabschiebung. Nach den umstrittenen Abschiebungen von Schülerinnen Anfang des Jahres setzte Vizekanzler Werner Kogler (Grüne) die Kindeswohlkommission ein, um sich den Stellenwert von Kinderrechten bei Asylverfahren anzusehen. Hintergrund war ein handfester Koalitionsstreit: Die Grünen wollten den Kindern einen Verbleib ermöglichen, die ÖVP beharrte auf Abschiebungen.
Die Kommission agiert unter Leitung von Ex-OGH-Präsidentin Irmgard Griss. Für ihren 400-seitigen Bericht analysierte sie Gesetze, wertete Fragebögen aus und sah sich Praxisfälle an. Am Dienstag präsentierte sie nun das Ergebnis: Österreich wird bei Asyl- und fremdenrechtlichen Verfahren in Sachen Kinderrechte internationalen und verfassungsrechtlichen Verpflichtungen „nur unzulänglich gerecht“, so Griss bei einer Pressekonferenz. Zum Teil sei die Einhaltung von Kinderrechten schlicht Glückssache. Entscheidungen fallen bei gleichem Sachverhalt sehr unterschiedlich – je nach Richter oder Referenten. Die geforderte Konsequenz: Für das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl sowie das Bundesverwaltungsgericht müsse es klare Richtlinien geben.
Andere Länder, andere Regeln
Ein weiteres Problem sei der „Fleckerlteppich“ in den Ländern. Wer als unbegleiteter Minderjähriger in Tirol aufgegriffen wird, für den sei die Kinder- und Jugendfürsorge sofort zuständig. In anderen Bundesländern sei das nicht der Fall. Es brauche daher für die Obsorgeberechtigung einheitliche Standards. Schließlich verlangt die Kommission auch ein unabhängiges Kinderrechtemonitoring – also eine Institution, die sich ansieht, ob das Kindeswohl in Gesetzgebung und Verwaltung gewahrt wird. Und: Schubhaft sei generell mit dem Kindeswohl nicht vereinbar. Auch für eine Änderung bei der Altersfeststellung plädiert die Kommission. Nicht nur biologische Kriterien sollen zählen, sondern auch psychosoziale, um das Alter mit weniger Schwankungsbreite feststellen zu können. Außerdem sollen in Entscheidungen über Aufenthaltstitel die Erfahrungen von Nachbarn, Kollegen bei ehrenamtlichen Tätigkeiten, Lehrern und Mitschülern einfließen. In Härtefällen soll diesen Berichten besonderes Gewicht zukommen.
Kindsein schlägt nicht alles
Es dauerte keinen halben Tag, da veröffentlichte auch das Innenministerium einen eigenen Bericht. Der Beirat des Innenministeriums, bestehend etwa aus den Jus-Professoren Walter Obwexer (Uni Innsbruck) und Katharina Pabel (Wirtschaftsuniversität), kam zum Ergebnis, dass das Kindeswohl in Asylverfahren zwar „herausragenden Stellenwert“, aber auch „keine absolute Wirkung“ habe. Einen gesonderten völkerrechtlichen, internationalen Schutz auslösenden Tatbestand „Kindeswohl“ gebe es nicht. Dafür sah man die Eltern in der Pflicht: Lange Verfahrensdauern und entsprechende Integrationsschritte könnten eventuell auf die Nichteinhaltung rechtskräftiger Entscheidungen bzw. die Vereitelung von Abschiebeversuchen zurückzuführen sein, heißt es im Resümee. „Das Verhalten der Eltern hinsichtlich des Bewusstseins des unsicheren Aufenthalts und des darauf aufbauenden Aufenthalts sowie der Integrationsschritte ist auch für das Kind relevant.“ Die Griss-Kommission war noch zum Schluss gekommen, dass „Minderjährigen der objektiv unrechtmäßige Aufenthalt nicht im gleichen Ausmaß wie ihren Eltern zugerechnet werden kann“.
In anderen Punkten werden im Beirats-Bericht Empfehlungen der Kommission aufgegriffen: So wird angekündigt, das Kindeswohl künftig als eigenen Prüfungstatbestand des BFA zu etablieren. Bereits umgesetzt sei die Forderung, negative Bescheide mit Bezug zu Minderjährigen dem Vier-Augen-Prinzip zu unterwerfen. Auch dem Beirat fehlen einheitliche Regeln für eine Obsorgezuständigkeit in den Ländern.
(win/APA)