Hochwasser

Die Flut versetzt Deutschland in Schock

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Fast 60 Menschen sterben in Deutschland bei Überflutungen nach starkem Regen. Der Westen des Landes ist nun Katastrophengebiet, vor dem Sommer schwemmte der Regen wichtige Teile der Infrastruktur weg. Auch in Belgien gibt es Tote.

An normalen Sommertagen ist Schuld bei Adenau ein Dorf, wie es in Westdeutschland viele gibt: adrett gestutzte, sattgrüne Wiesen, weiß gekalkte Fachwerkbauten, ein Hotel mit dem Namen „Zur Linde“, ein paar Ferienwohnungen, ein Angelpark, ein Spielplatz. Etwas mehr als 700 Menschen leben hier. Um ihre Häuser schlängelt sich die Ahr – ein Fluss, an normalen Tagen so breit wie ein Einfamilienhaus.

In der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag jedoch, wurde das kleine Schuld bei Adenau, Bundesland Rheinland-Pfalz, zum Bild der Katastrophe, die über Westdeutschland hereingebrochen ist und seither die Republik in Atem hält: Es regnete und regnete, die Flüsse schwollen an und stiegen über die Ufer. In Städten wie Hagen fielen in zwei Tagen rund 250 Liter Regen pro Quadratmeter.

Die schmale Ahr wuchs zu einem Strom an, der zwei Häuser mitriss und vier einstürzen ließ. 25 weitere Gebäude in Schuld bei Adenau sind schwer beschädigt. Mehrere Dorfbewohner sollen in den Wassermassen gestorben sein.

(c) APA/dpa/Roberto Pfeil (Roberto Pfeil)

„Tote, Tote, Tote"

Mit Drohnen gemachte Aufnahmen der Zerstörung in Schuld bei Adenau gingen um die Welt. Das Boulevardmedium „Bild“ mietete einen Helikopter, um die Bilder der Verwüstung zu zeigen: Weggespülte Straßen, eingestürzte Brücken, zerschmetterte Häuser, zerdrückte Autos. „Tote, Tote, Tote“ wurde hinter den zwei Moderatoren eingeblendet, die nicht einmal davor zurückschreckten eine „Bild“-Reporterin aus der Gegend live auf Sendung zu fragen, ob sie glaube, dass ihre Großeltern noch am Leben sind. Sie wusste es nicht.

Es wird noch dauern, bis klar ist, wie viele Menschen in den Überflutungen nach den Regenfällen gestorben sind. Fast 60 Tote zählten die Behörden am Donnerstag. Insgesamt wurden noch 50 bis 70 Menschen vermisst. Mehrere Orte waren zu Redaktionsschluss von den Helfern abgeschnitten. Auch das Mobilfunknetz fiel in mehreren Regionen aus. Rund 200.000 Menschen waren am Donnerstag ohne Strom.

Rund 15.000 Helfer befanden sich in Westdeutschland im Einsatz. Die Bundeswehr rückte mit Soldaten und Bergepanzern aus, Helfer versuchten mit Booten und Helikoptern an Orte zu kommen, an denen Menschen ausharren. Manche verbrachten Stunden auf Hausdächern. Zwei Feuerwehrmänner ließen im Dienst ihr Leben: Ein 46-Jähriger fiel nach einer erfolgreichen Rettungsmission selbst ins Wasser und wurde mitgerissen, ein 52-Jähriger kollabierte.

Rheinbach, Kordel, Altenahr, Hagen, Dorsel – die Liste der Ortschaften, die sich noch im absoluten Katastrophenmodus befanden ist lang. Tausende Menschen in Rheinland–Pfalz und Nordrhein-Westfalen wurden in Sicherheit gebracht, da Dämme unter dem Druck des Wassers zu brechen drohen. Sie bangen in Notquartieren um ihre Häuser.

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Laschet in Gummistiefeln

Bereits am Vormittag brach Armin Laschet eine Reise nach Süddeutschland ab und kehrte nach Nordrhein-Westfalen zurück. Der 60-Jährige ist nicht nur Ministerpräsident des Bundeslandes, sondern auch CDU-Chef und Kanzlerkandidat der Unionsparteien für die Bundestagswahl im Herbst.

In Gummistiefeln stapfte er durch das braune Wasser, gab im „Bild“-Fernsehen ein erstes Live-Interview. Mehrere deutsche Politiker brachen ihren Urlaub ab, darunter SPD-Kandidat Olaf Scholz und die Grüne Annalena Baerbock. Bundeskanzlerin Angela Merkel meldete sich von ihrer US-Reise und sicherte den Deutschen „alle Kräfte unseres Staates“ zu, um die Notlage zu überwinden.

Unwetter in Nordrhein-Westfalen
Unwetter in Nordrhein-Westfalen(c) APA/dpa/Roberto Pfeil (Roberto Pfeil)

Vizekanzler Olaf Scholz (SPD) unterbrach wegen des Hochwassers seinen Urlaub. Der Finanzminister und SPD-Kanzlerkandidat machte sich zusammen mit Dreyer ein Bild von der Lage im Katastrophengebiet. Er zeigte sich betroffen von der "gewaltigen Zerstörung, die die Natur angerichtet hat". Aber diese Naturkatastrophe habe "sicher auch etwas damit zu tun", dass der Klimawandel mit Geschwindigkeit fortschreite, sagte er.

Kanzlerin Angela Merkel (CDU) sagte den Betroffenen Unterstützung zu. "Dies sind für die Menschen in den Überschwemmungsgebieten entsetzliche Tage. Meine Gedanken sind bei ihnen." Sie könnten darauf vertrauen, dass alle Kräfte des Staates gemeinsam alles daran setzen würden, auch unter schwierigsten Bedingungen Leben zu retten, Gefahren abzuwenden und Not zu lindern. "Ich möchte den Helfern von ganzem Herzen für ihren Einsatz danken, von dem wir wissen, dass er zum Teil wirklich sehr, sehr gefährlich ist."Die Bundesregierung plant nach Angaben von Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) ein Hilfsprogramm für die Betroffenen.

Tote und Vermisste in Belgien

Die Zahl der Todesopfer im Zusammenhang mit Unwettern im östlichen Belgien ist bis zum späten Donnerstagabend auf neun gestiegen. Zudem werden vier Menschen vermisst, wie die belgische Nachrichtenagentur Belga berichtete. Bereits am Morgen hatte es erste Meldungen über Tote gegeben. Innenministerin Annelies Verlinden hatte den Katastrophenschutzmechanismus der EU in Anspruch genommen, Frankreich, Italien und Österreich hatten Hilfe angeboten.

König Philippe von Belgien und Königin Mathilde fuhren den Angaben zufolge in die besonders betroffene Gemeinde Chaudfontaine. Der zentrale Bahnhof der Stadt Lüttich mit knapp 200.000 Einwohnern wurde am Nachmittag geschlossen. In der Stadt waren Belga zufolge zudem die Strom-, Gas- und Wasserversorgung beeinträchtigt.

Wer an der Maas lebt, wurde dazu aufgefordert, sich in Sicherheit zu bringen. Auch in anderen Provinzen mussten Menschen in Sicherheit gebracht werden. Wie in Deutschland hielten starke Regenfälle und Überschwemmungen Einsatz-und Sicherheitskräfte im Osten des Landes seit der Nacht in Atem. Ministerpräsident Alexander De Croo schrieb auf Twitter: "Wir sichern allen Betroffenen sowie den örtlichen Behörden unsere volle Unterstützung zu."

Am Donnerstagnachmittag waren rund 100 Feuerwehrleute aus Niederösterreich nach Lüttich aufgebrochen. Eintreffen werden sie dort nach Angaben des Landesverbandes am Freitag gegen 5.00 Uhr. Im Gepäck haben die Helfer 26 Rettungsboote. Bei Bedarf kann das Kontingent binnen weniger Stunden erweitert werden. "Wir könnten insgesamt bis zu 60 Rettungsboote samt ausgebildeter Schiffsführer nach Belgien entsenden. Aber auch Großpumpen und leistungsfähige Stromgeneratoren", sagte Landesfeuerwehrkommandant Dietmar Fahrafellner.

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