Causa Baerbock

Reden wir über Qualität, nicht über „Rufmord“

(c) Peter Kufner
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Die Enttarnung von Blendern sollte nicht diskreditiert, sondern honoriert werden – zum Wohl der Gesellschaft. Ein Gastkommentar von Plagiatsforscher Stefan Weber.

„Rufmörder!“ „Frauenverfolger!“ „Rechtsaußen-Sympathisant!“ – Das waren die drei Stereotype, mit denen ich beharrlich konfrontiert wurde, nachdem ich aufgedeckt hatte, dass es mit der Qualität und Originalität in Annalena Baerbocks Buch „Jetzt“ erheblich hapert. Mir geht es auch in diesem Fall um nichts anderes als um ein genaues Hinsehen, was die Autorschaft, Eigenständigkeit und Ehrlichkeit eines Textes anbelangt. Das sollte gerade im Zeitalter der Digitalisierung eigentlich nicht diskreditiert, sondern honoriert werden.

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Warum kein Dialog?

Zum ersten Stereotyp: Die Grünen Deutschlands reagierten zunächst mit den Vokabeln „bösartig“, „Rufmord“, „falsche Anschuldigungen“ und „Desinformationskampagne“ auf meine Enthüllungen – um sich kurz danach in zunehmender Selbstkritik zu üben. Warum sieht man sich nicht zuerst an, was an den Vorwürfen genau dran ist (ich habe ja zunächst nur einen Teil publiziert)? Warum keine Einladung zum Dialog und zur Aufklärung?

Ich habe Annalena Baerbock bezüglich der Konfusionen um ihren Lebenslauf bereits am 10. Mai 2021 ein E-Mail geschrieben. Die Antwort kam exakt drei Wochen später vom „Team Baerbock“ und sie bestand aus einem mittlerweile bereits veröffentlichten Absatz – Copy/Paste auch hier. Die Grünen wollen laut Parteiprogramm eine „positive Fehlerkultur“ etablieren. Diese scheint, wie etwa auch die Forderung nach Compliance (Regeltreue, Richtlinien-Einhaltung), nur für alle anderen zu gelten, aber nicht für die eigene Partei.

Warum sonst reagiert man auf beweisbare Vorwürfe mit einem „Medienanwalt“, der schon den prominentesten Plagiator Deutschlands, Karl-Theodor zu Guttenberg und einen journalistischen Fälscher verteidigt hat bzw. verteidigt? Die Grünen reagierten hier nicht wie eine Fortschrittspartei, sie luden nicht zum Dialog ein, sondern sie „schossen zurück“, eher wie ein steifer, alter, beleidigter Parteiapparat.

Ist das Feminismus?

Zum zweiten Stereotyp: Politisch unkorrekt scheint es zu sein, eine Frau zu kritisieren. Wenn Feminismus heißt, einer Frau den Vortritt zu lassen, nur weil sie eine Frau ist und die Frau gleichzeitig weniger qualifiziert ist als der Mann, so ist das kein Feminismus, sondern nur ein Echo jener Männergesellschaft, die dieser falsch verstandene Feminismus bekämpfen will. „Mit ihrer Selbstüberschätzung hat Baerbock dem Feminismus einen Bärendienst erwiesen“, schrieb taz-Autorin Silke Mertins. So ist es.

Wenn man das jüngste Buch von Robert Habeck mit dem von Annalena Baerbock vergleicht, dann muss doch die Frage erlaubt sein: Nach welchen Selektionskriterien geht hier eine politische Partei vor? Warum wurde das „Frauenstatut“ offenbar zum Dogma?

Die deutschen Medien, allen voran der „Spiegel“ und die „Süddeutsche Zeitung“, haben Annalena Baerbock zum neuen Wunderwuzi hochgeschrieben, zur Super- und Überfrau – immer perfekt gestylt und auf Fotos stets mit einem grünen Pflanzenreich im Hintergrund –, die Deutschland in ein neues ökologisches Zeitalter jenseits des reinen Diktats der Ökonomie führen möchte.

Mittlerweile steht fest: Das Problem ist nicht eine vermeintliche „Negativ-Kampagne“ gegen eine Frau, weil sie eine Frau ist. Das Problem ist vielmehr, dass genau diese Frau vorher zur Spitzenkandidatin einer politischen Partei gekürt wurde und einige Massenmedien hier die Inszenierung mit redaktionellen Beiträgen vorantrieben, die wie bezahlte Anzeigen aussahen.

Eine Verschwörungstheorie

Zum dritten Stereotyp: Gewisse bundesdeutsche Medien, erneut allen voran der „Spiegel“ und die „Süddeutsche Zeitung“, interessierten sich nicht oder kaum für die Frage, warum hier jemand Spitzenkandidatin einer Partei wurde, der seinen Lebenslauf an fast einem Dutzend Stellen frisiert hat, für sein Buch (nach derzeitigem Wissensstand) mehr als 50 Textstellen geklaut hat und erhebliche Erklärungsnöte mit Nebeneinkünften und einem bezogenen Promotionsstipendium hat. Nein, vielmehr war die „Hintermann-Theorie“ Gegenstand von mehr als einem Journalistenanruf mit Suggestivfragen. Die „Verschwörung aus dem rechten Eck“ oder gar der Russen, das ist die dritte mächtige Schablone.

Man kann dann zehnmal die schlichte Wahrheit behaupten, nämlich dass man aus reiner Neugierde am Thema dran bleibe und weiter recherchiere. Und zum elften Mal wird man lesen müssen, dass ja nicht ausgeschlossen werden könne, dass man doch ein von den Russen, den Rechten oder gar der SPD (?) finanzierter Troll sei.

Die bundesdeutschen Medien bedienten damit einen die Gesellschaft weiter spaltenden Vorurteilsdiskurs. Verschwörungstheorien verbreitete in der Causa Baerbock nicht das Internet, Verschwörungstheorien verbreiteten vor allem einige der sogenannten Qualitätsmedien. Das war neu. Und parallel dazu ging die kritische Öffentlichkeit von Bloggern und Social Media aus. Ein Wendepunkt für Massenmedien und Demokratie in Deutschland?

Im Fall Baerbock war ausschlaggebend: Blogger recherchierten bei akademischen Ausbildungsstätten. Softwaresysteme fanden zahlreiche abgeschriebene Stellen. Die Wayback Machine des Internet Archives erlaubte den Aufdeckern den Vergleich zwischen heutigen und damaligen Angaben auf Webseiten.

Wenn wir uns in Zukunft Lebensläufe, akademische Titel und akademische Qualifikationsschriften von Spitzenkandidatinnen und -kandidaten in der Politik genauer ansehen, wenn Sachbuchverlage Plagiatssoftware einsetzen, dann sind das Qualitätssicherungsmaßnahmen zum Wohl der Gesellschaft und der Demokratie.

Die digitalisierte Öffentlichkeit lässt sich nicht mehr ein X für ein U vormachen. Eigentlich sollten auch Massenmedien aus dem Fall Baerbock lernen, dass sie Beschreibungen kritisch hinterfragen müssen, bevor sie jemanden über den grünen Klee loben und hochschreiben. Die Enttarnung von Blendern wäre eigentlich Aufgabe der „vierten Gewalt“. Sie hat im Fall Baerbock nicht nur versagt, sie hat sogar eine Gegen- und Scheinwirklichkeit konstruiert.

In Ländern jenseits Europas heißt ein genaues Hinsehen übrigens „Pre-Employment Screening“ oder „Degree Verification“. In Europa steht dem ein antiquierter Datenschutz entgegen: Bei uns kann sich jeder Doktor der Universität N.N. nennen, ohne dass der Falschheitsbeweis dieser Aussage mittels Direktanfrage bei der Universität N.N. zu erbringen wäre.

Ehrenkodex für Politiker

Wie wäre es einmal mit einem Ehrenkodex von politischen Parteien, wonach sich Kandidaten zu ausnahmslos wahrheitsgetreuen Angaben in Lebensläufen verpflichten, ihre Nebeneinkünfte transparent machen und ihre akademischen Abschlüsse und Schriften offenlegen?

Den Kampf um die Ehrlichkeit glauben mir häufig jene nicht, die selbst unehrlich sind.

E-Mails an:debatte@diepresse.com

Der Autor

Dr. Stefan Weber (* 1970) ist Plagiatsforscher in Salzburg. Er hat unter anderem die Dissertation von Christine Aschbacher als wissenschaftliche Minderleistung erklärt, was der ÖVP-Arbeitsministerin im Jänner ihr Amt gekostet hat. Nun hat er abgeschriebene Stellen im Buch der grünen Kanzlerkandidatin Deutschlands aufgedeckt.

Stefan Weber
Stefan WeberBERGAUER JOACHIM

("Die Presse", Print-Ausgabe, 16.07.2021)

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