Überflutungen

Hochwasser in Deutschland: Zahl der Toten auf über 100 gestiegen, mehr als 1300 Vermisste

Flutkatastrophe bei Erftstadt-Blessem
Flutkatastrophe bei Erftstadt-BlessemREUTERS
  • Drucken

Mindestens 103 Menschen kamen bisher bei den Überschwemmungen ums Leben. In Neuenahr-Ahrweiler (Rheinland-Pfalz) werden mehr als 1300 Menschen vermisst. Deichbrüche in den Niederlanden.

Die Aufräum- und Bergungsarbeiten nach der Hochwasserkatastrophe im Westen Deutschlands sowie in Belgien und den Niederlanden gehen am Freitag weiter. Auch die Zahl der Toten stieg: Medienangaben zufolge starben mindestens 103 Menschen- vor allem aber werden mittlerweile mehr als 1300 Menschen vermisst.

Aus Rheinland-Pfalz wurden bis Freitagmittag mindestens 60 Todesopfer gemeldet, in Nordrhein-Westfalen waren es mindestens 43. In Belgien stieg die Zahl der Toten auf zwölf, auch hier rechnet man mit einem Anstieg.

In der niederländischen Stadt Meerssen nahe Maastricht in der Südprovinz Limburg sowie in der näheren Umgebung mussten zahlreiche Menschen wegen eines Deichbruchs ihre Häuser verlassen. Notfalldienste warnten, die Wassermassen drohten gleich mehrere Dörfer zu überschwemmen. Menschen sollten sich umgehend in Sicherheit bringen. Ministerpräsident Mark Rutte erklärte das Hochwasser im Süden des Landes zu einer nationalen Katastrophe.

Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK)
begann mit der Anfertigung von Satellitenbilder der Überschwemmungsgebiete. Die Aufnahmen sollen den Behörden bei der
Katastrophenbekämpfung helfen. „Auf Anfrage der Länder Rheinland-Pfalz, Baden-Württemberg, Hessen und Nordrhein-Westfalen hat das BBK den Copernicus-Dienst für Katastrophen- und Krisenmanagement ausgelöst“, sagte Vizepräsident Thomas Herzog dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. Copernicus ist das europäische Erdbeobachtungsprogramm der ESA.

Es handelt sich um eine der größten Unwetterkatastrophen der Nachkriegszeit in Deutschland. Obwohl die Rettungsmaßnahmen noch
voll im Gange waren, lag die Zahl der Toten bereits deutlich mehr als doppelt so hoch wie beim sogenannten Jahrhunderthochwasser des Jahres 2002, bei dem in Deutschland 21 Menschen starben. Wegen der
Katastrophe sollen die Flaggen an öffentlichen Gebäuden in Rheinland-Pfalz am Freitag auf Halbmast hängen.

Mobilfunknetz teilweise lahmgelegt

Es gab zudem noch eine große Zahl vermisster Menschen. Aus Sicht
der Polizei würden in Rheinland-Pfalz knapp unter 100 Menschen
vermisst, sagte der rheinland-pfälzische Innenminister Roger Lewentz
(SPD) am Freitag im Deutschlandfunk. Allerdings hatte der Kreis Ahrweiler südlich von Bonn auf der Höhe von Remagen von 1300 Vermissten im Kreisgebiet mit seinen rund 130.000 Einwohnern gesprochen.

Lage des Landkreises Ahrweiler:

Eine Sprecherin erklärte diese ungeheure Zahl allerdings auch mit dem teilweise lahmgelegten Mobilfunknetz. Daher gebe es keinen Handy-Empfang; viele Menschen seien nicht erreichbar, näheres üvber sie wissen man nicht.

Stundenlanger Starkregen hatte zu einem verheerenden Hochwasser
geführt. Schwerpunkt der Katastrophe in Rheinland-Pfalz ist der Kreis Ahrweiler. Allein in dem 700 Einwohner zählenden Dorf Schuld an der Ahr wurden mehrere Häuser von den Wassermassen mitgerissen, zahlreiche weitere Gebäude teils schwer beschädigt.

Im schwer vom Hochwasser bedrohten nordrhein-westfälischen Erftstadt südlich von Köln sind einem Sprecher des Rhein-Erft-Kreises zufolge 55 Menschen aus von den Fluten betroffenen Häusern gerettet worden. 15 Personen seien in dem gefährdeten Bereich noch in ihren Häusern eingeschlossen. Über Todesfälle ist bisher nichts bekannt. Mehrere Häuser in dem Ort waren nach Unterspülungen eingestürzt.

Bundeskanzlerin Angela Merkel versprach den Betroffenen Hilfen. Sie sprach in Washington von einer "Tragödie". Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer sicherte den Einsatz der Bundeswehr im Katastrophengebiet zu. „Jetzt kommt es darauf an, geeignetes Material aus der ganzen Republik bereitzustellen“, sagte die CDU-Politikerin. „Hierzu habe ich bereits angeordnet, dass alle anderen Aufträge, die nicht unmittelbar mit den Auslandseinsätzen verbunden sind, hintangestellt werden. Die oberste Priorität liegt jetzt bei der Katastrophenhilfe in den betroffenen Städten und Kommunen."

„Große nationale Kraftanstrengung"

imago images/NurPhoto

Das nordrhein-westfälische Kabinett berät am Freitag in einer Sondersitzung über die Lage und Hilfen für die betroffenen Kommunen. Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) sagte am Donnerstagabend in der ZDF-Sendung "Maybrit Illner", es müssten Wege gefunden werden, sehr schnell wieder Straßen, Brücken und andere Infrastruktur in Gang zu setzen. Das Land werde helfen, nötig sei aber auch "eine große nationale Kraftanstrengung, damit schnell die schlimmsten Dinge beseitigt werden".

„Die Lage ist nach wie vor dramatisch", erklärte die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer in Trier am Freitag. "Die Lage ist überhaupt noch nicht entspannt", sagte Dreyer. Die Zahl der Toten steige weiter. „Dass so viele Menschen sterben bei dieser Katastrophe, das ist wirklich ganz furchtbar." Die Rettung der Menschen aus ihren Häusern und Wohnungen sei zudem schwierig, da der Zugang kaum möglich ist. „Das alles ist eine große, große Herausforderung für unsere Einsatzkräfte, die rund um die Uhr arbeiten", betonte die SPD-Politikerin.

imago images/Marius Schwarz

Die Schäden durch die Wassermassen sind in beiden Ländern immens. Das Land Rheinland-Pfalz stellte als kurzfristige Unterstützung 50 Millionen Euro bereit, um etwa Schäden an Straßen, Brücken und anderen Bauwerken zu beheben.

Grünen-Chef Robert Habeck sprach sich für die Auflage eines Hilfsfonds aus. "Ich fände es richtig, wenn wir jetzt sehr schnell einen Hilfsfonds auflegen, wie es 2013 auch nach dem großen Elbhochwasser der Fall war", sagte er der "Welt" (Freitag). "Wir müssen den Menschen in einer solchen Notsituation schnell und unbürokratisch unter die Arme greifen, und ein Teil des Geldes dafür muss aus dem Bundeshaushalt kommen." SPD-Chef Norbert Walter-Borjans sagte der Deutschen Presse-Agentur, die Menschen, die um ihre finanzielle Existenz fürchteten, bräuchten schnell Klarheit. Aufräumarbeiten und Wiederaufbau gelängen nur mit großer Solidarität.

NRW: Überschwemmungen an der Rur zu erwarten

imago images/photothek

In Nordrhein-Westfalen lief kurz vor Mitternacht die Rurtalsperre über, "mit einer geringen Dynamik", wie der Wasserverband Eifel-Rur (WVER) mitteilte. Dadurch sei im Unterlauf der Rur mit Überschwemmungen sowie Überflutungen von Häusern und Kellern zu rechnen. Der Wasserverband warnte, Menschen sollten sich nicht in Flussnähe aufhalten, da die Gefahr bestehe, mitgerissen zu werden. Auch sollten vollgelaufene Keller nicht betreten werden, weil die Gefahr von Stromschlägen bestehe. An besonders von Hochwasser betroffenen Stellen sei auch mit Evakuierungen zu rechnen.

Die Rettungskräfte setzen unterdessen die Suche nach Vermissten fort. Die Bundeswehr hat zur Unterstützung inzwischen rund 900 Soldaten in die Katastrophengebiete in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz geschickt. Im heftig betroffenen Kreis Euskirchen in NRW soll ein Gutachter am Freitag erneut die Steinbachtalsperre unter die Lupe nehmen. Der Wasserstand war am Donnerstagabend durch Abpumpen zwar gesunken. Die Brauchwasser-Talsperre, deren Damm tiefe Furchen aufweist, war von einem Sachverständigen am Vortag als "sehr instabil" eingestuft worden. Deswegen wurden aus Sicherheitsgründen mehrere Ortschaften evakuiert. Betroffen waren rund 4.500 Einwohner.

Flut bei Erftstadt-Blessem
Flut bei Erftstadt-Blessemvia REUTERS

Überflutungen auch in der Schweiz, Belgien, NL

Ebenfalls mit Hochwasser zu kämpfen haben Nachbarländer Deutschlands. In der Schweiz stiegen Flusspegel nach starken Regenfällen stark an. Im Kanton Schaffhausen überschwemmten laut der Nachrichtenagentur Keystone-sda angeschwollene Bäche die Dörfer Schleitheim und Beggingen. Wassermassen flossen durch Straßen, in Keller, rissen Fahrzeuge mit und zerstörten kleinere Brücken.

In Belgien ist die Zahl der Toten laut Medienberichten auf zwölf  gestiegen. Wie der öffentlich-rechtliche Rundfunksender RTBF am Freitag berichtete, werden fünf weitere Menschen noch vermisst. Der wallonische
Regierungschef Elio Di Rupo sagte dem Sender, er befürchte, dass die Zahl der Todesopfer weiter steigen werde. "Gestern Abend waren noch hunderte Menschen in ihren Häusern eingeschlossen", sagte Di Rupo am Freitagmorgen. Die Wallonie, eine französischsprachige Region im
Süden Belgiens, war besonders stark von den Unwettern betroffen.

Niederösterreicher im Einsatz in Belgien

In Belgien stehen seit Freitag auch österreichische Kräfte im Einsatz: 103 Feuerwehrleute aus Niederösterreich sind noch Donnerstagabend mit 16 Fahrzeugen und 26 Booten aufgebrochen, nachdem ein entsprechendes Hilfsansuchen der dortigen Behörden über den EU-Katastrophenhilfemechanismus im Innenministerium eingelangt war. "Selbstverständlich stehen wir der belgischen Bevölkerung in diesen schweren Stunden zur Seite. Ich danke den über einhundert Feuerwehrleuten für ihren Einsatz", so Innenminister Karl Nehammer.

(APA/DPA/red.)

Lesen Sie mehr zu diesen Themen:

Mehr erfahren

Archivbild vom Montag, als Angela Merkel (Mitte) mit Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) zerstörte Gebiete in Rheinland-Pfalz besuchte.
Unwetter

Merkel und Laschet besuchen erneut deutsche Katastrophengebiete

Die Aufräumarbeiten sind in vollem Gang. Sorge gibt es um ein erhöhtes Corona-Risiko in Notunterkünften. Sonderimpfaktionen sind in Vorbereitung.
Dieses Lachen kennt nun ganz Deutschland.
Deutschland

Faux-pas: Armin Laschet lacht sich durch und in eine Krise

Der CDU-Kanzlerkandidat begeht einen Faux-pas, der Wahlkampf zieht ins Katastrophengebiet ein.
Viele Freiwillige helfen in Deutschland dabei, das Chaos zu beseitigen.
Aufräumarbeiten

150 Tote nach Hochwasserkatastrophe in Deutschland

Bei der schwersten Hochwasserkatastrophe in Deutschland seit Jahrzehnten wurden zumindest 150 Menschen getötet und viele Häuser zerstört.
Angela Merkel besuchte die von den Überflutungen betroffenen Gebiete im Bundesland Rhainland-Pfalz.
Flutkatastrophe

Unwetter in Deutschland: Zahl der Todesopfer auf 150 gestiegen

Am Samstagabend kam es zu neuen Unwettern, die Lage bleibt angespannt. Bundeskanzlerin Merkel besucht die Krisengebiete und spricht von „gespenstischen Bildern“.

Dieser Browser wird nicht mehr unterstützt
Bitte wechseln Sie zu einem unterstützten Browser wie Chrome, Firefox, Safari oder Edge.