Nobelpreis: Der einsame Kampf der Dissidenten

Nobelpreis einsame Kampf Dissidenten
Nobelpreis einsame Kampf Dissidenten(c) AP (Kin Cheung)
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Der chinesische Friedens-Nobelpreisträger ist nur einer von weltweit zehntausenden inhaftierten Regimekritikern. Es gibt Wege, ihnen zu helfen. Doch nicht immer sind westliche Regierungen entschlossen genug.

Dicker Smog liegt an diesem Oktobersamstag über Peking, aber Buchhändler Li steht vor seinem Geschäft in der Innenstadt und schaut, als sei gerade die Sonne aufgegangen. „Das ist ein guter Tag für China“, kommentiert er die Nachricht, dass der inhaftierte Bürgerrechtler Liu Xiaobo den Friedens-Nobelpreis erhält. Mit feiner Ironie fügt er hinzu: „Denken Sie nur: Wie lange schon hatten wir Chinesen uns nach einem Nobelpreis gesehnt, und nun haben wir gleich den wichtigsten und besten von allen bekommen – dank der hervorragenden Arbeit unserer Regierung!“

Die Entscheidung des Nobelpreiskomitees aus Oslo hatte sich am Vortag wie ein Lauffeuer verbreitet – trotz aller Zensurbemühungen der Behörden. In Peking und andernorts trafen sich spontan Freundeskreise zur Party. Im Internet und auf Mikro-Blogs kursierten Glückwünsche und Karikaturen – eine zeigt eine Medaille hinter Gittern.

In die Freude über die Ehrung für den 54-jährigen Liu, der Weihnachten 2009 als Mitautor des Reformappells „Charta 08“ zu elf Jahren Gefängnis verurteilt wurde, mischte sich zunächst Sorge über das Schicksal seiner Frau Liu Xia. Am Samstag tauchte die zierliche Künstlerin wieder auf. Es hieß, ihr werde Zutritt zum Gefängnis von Jinzhou gewährt, um ihrem Mann zu besuchen.

Wie viele Chinesen derzeit das Schicksal Liu Xiaobos teilen und als politische Häftlinge im Gefängnis sind, ist unklar. Solche Informationen betrachtet die Regierung als „Staatsgeheimnis“. Experten wie Nicholas Bequelin von „Human Rights Watch“ in Hongkong schätzen, dass es Tausende sind. Jedes Jahr werden zwischen 500 und 800 Chinesen wegen „Staatssicherheitsdelikten“ angeklagt.

Dazu kommen noch jene Gefangenen, die wegen ihres Glaubens (zum Beispiel der Zugehörigkeit zur Falungong-Bewegung) inhaftiert sind, außerdem wahrscheinlich eine sehr große Zahl von Tibetern und Uiguren, die nach den Unruhen von 2008 und 2009 verurteilt worden sind. Zwischen fünf und acht Prozent der insgesamt rund 250.000 Chinesen, die ohne Gerichtsurteil in Umerziehungslagern sitzen, sind laut Menschenrechtsorganisationen ebenfalls wegen politischer oder religiöser Gründe inhaftiert.

Wie viele Gewissensgefangene weltweit hinter Gittern sitzen, kann nur geschätzt werden. Es sind wohl Zehntausende. Akbar Gandji, einer der prominentesten iranischen Dissidenten, darbte sechs Jahre im berüchtigten Teheraner Evin-Gefängnis. Jedes Mal, wenn er eine politische Stellungnahme aus der Zelle schmuggelte, musste er in Einzelhaft. „Es war wie im Grab“, erzählt der 50-jährige Journalist, der mittlerweile in Berlin lebt.


Jeder Brief hilft. Doch Gandji gab nicht auf. Er widerrief nicht. Er blieb bei seiner Forderung, die ihn ins Gefängnis der Islamischen Republik gebracht hatte: Er beharrte auf einer Trennung von Religion und Staat. Ein Hungerstreik brachte ihn an die „Grenze des Todes“. Und dann kam der Schriftsteller doch frei. Druck aus den USA und Europa hatten geholfen. „Jede Unterstützungserklärung, jeder Brief nützt“, sagt er.

Amnesty International hat sich einen Bausatz an Hilfsmaßnahmen für Gefangene zurechtgelegt: Zunächst wird versucht, direkt mit den Behörden des jeweiligen Landes Kontakt aufzunehmen. Wenn das nichts nützt, folgt die Mobilisierung der Öffentlichkeit: Präsidenten, Innenminister, Polizeichefs werden mit Massenpetitionen für den Inhaftierten bombardiert – per E-Mail, Brief oder Unterschriftenliste, die etwa bei Staatsbesuchen übergeben wird. Eine Methode, die durchaus Erfolg haben kann. „Viele Gefangene haben erzählt, dass die Prügel weniger wurden, als die ersten Briefe eintrafen“, sagt der Generalsekretär von Amnesty Österreich, Heinz Patzelt. Und er zitiert den chinesischen Dissidenten Wei Jingsheng, der 1997 nach vielen Jahren Gefängnis freigelassen und in die USA abgeschoben wurde: „Nach den ersten 1000 Briefen erhielt ich meine Brille zurück, nach den ersten 2000 bekam ich besseres Essen. Nach 20.000 wollte plötzlich der Gefängnisdirektor mit mir sprechen.“

Mit der Mobilisierung einer breiten Öffentlichkeit kann man vor allem Regimes beeindrucken, die – wie Patzelt es ausdrückt – noch „eine Resteitelkeit“ besitzen. Also Regierungen, die international wenigstens noch den Anschein wahren wollen, dass in ihren Ländern so etwas wie Rechtsstaatlichkeit herrscht. „Wirkliche Brutalo-Diktaturen wie Nordkorea kann man damit nicht treffen.“

Wird der Friedensnobelpreis das Verhalten der chinesischen Regierung ändern? Der iranische Dissident Gandji hofft auf eine Schutzwirkung für seinen chinesischen Leidensgenossen Liu. Manfred Nowak, UN-Sonderberichterstatter für Folter, ist da skeptischer. „Solche Regime tun derartige Preisverleihungen als westliche Einmischung ab.“ Er erinnert an das Schicksal der burmesischen Oppositionsführerin Aung San Suu Kyi, die 1991 den Friedens-Nobelpreis erhielt. Sie steht bis heute unter Hausarrest.

Es war schon besser bestellt um Menschenrechte. Der Siegeszug der Demokratie stockt. Die Welt ist wieder autoritärer geworden. Seit 1972 misst das „Freedom House“, wie frei oder unterdrückt die Menschen auf allen fünf Kontinenten sind. Heuer stellte die unabhängige Organisation zum vierten Mal in Folge Rückschritte fest.

China zeigt vor, dass man auch ohne Demokratie wirtschaftlich erfolgreich sein kann. Das Modell strahlt weithin aus. Der Westen hingegen hat an Überzeugungskraft verloren. Vor allem die USA haben mit ihrem Krieg gegen den Terror ihren Nimbus als „Menschenrechtsgroßmacht“ gewaltig angekratzt. Im Kampf für Menschenrechte hat der Westen immer schon zweierlei Maß angelegt. „Die Europäer setzen sich vor allem für Gefangene in weniger mächtigen Ländern ein, in denen dieses Engagement nicht so wehtut“, analysiert Amnesty-Chef Patzelt.

Bei China sei das schon schwieriger. Da geht das Geschäft vor. So sehen das mittlerweile auch die Amerikaner, vor allem seit Ausbruch der Finanzkrise. Menschenrechtsfragen dürften den Beziehungen zwischen China und den USA nicht im Wege stehen, sagte US-Außenministerin Hillary Clinton gleich zu Beginn ihrer Amtszeit.

Früher waren die Amerikaner am ehesten erfolgreich mit ihren Interventionen in China. Denn sie stellten Bedingungen und erreichten so die Freilassung von Gefangenen. Die Europäer redeten um des Redens willen. „Der Menschenrechtsdialog der EU mit China hat wenig gebracht“, resümiert der Menschenrechtsexperte Manfred Nowak eine aktuelle Doktorarbeit.

Christian Strohal, Österreichs Botschafter bei der UNO in Genf, bevorzugt die langfristige Perspektive. „Dann kann man unglaubliche Fortschritte feststellen“, sagt er. Der Diplomat setzt auf die Einsicht aufstrebender Staaten wie China. „Ein gestärkter Rechtsstaat wirkt Wunder bei der Korruptionsbekämpfung, stärkt den Wirtschaftsstandort und trägt längerfristig zu einer Stabilisierung der Gesellschaft bei.“


Gedungene Schläger. Für Chen Guangcheng ist das alles graue Theorie. Der blinde chinesische Anwalt, bekannt wegen seines Einsatzes gegen massenhafte Zwangsabtreibungen in Ostchina, wird auch nach Abbüßung seiner vierjährigen Haftstrafe schikaniert. Seit seiner Freilassung am 9. September hindern ihn gedungene Schläger daran, sein Haus in einem Dorf zu verlassen, einkaufen zu gehen oder einen Arzt zu besuchen. Auf Dissidenten wie ihn und den neuen Friedens-Nobelpreisträger Liu wartet noch ein langer Kampf.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 10.10.2010)

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