Spiegelschrift

Jetzt ist die APA am Werk: Gendern mit Selbstkontrolle

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Frauen vor den Vorhang. Lässt sich die widernatürliche Verformung der deutschen Sprache noch bremsen? Es gibt kontroverse Antworten.

Die Genderei wucherte hauptsächlich auf links-grünem Boden. Umso überraschender ist ein Artikel in der links-alternativen deutschen Tageszeitung „TAZ“, der das Ende des Genderns vorhersieht: „Die Idee, mit dem Gendersternchen eine schöne, diskriminierungsfreie Gesellschaft zu erzwingen, ist gescheitert.“ Man könnte jetzt fälschlich glauben, die Ministerien, Hochschulen, die Hochschülerschaft, der ORF und ähnliche Anstalten in Deutschland würden ihre vom Großteil der Bevölkerung abgelehnten Experimente stoppen. Noch einmal die „TAZ“: „Dazu passt, dass die treibenden Kräfte vor allem an Universitäten und in Behörden zu finden sind. Sie geben Leitfäden zur geschlechtergerechten, diskriminierungsfreien Sprache heraus, die einen angemessenen Umgang empfehlen, in der Konsequenz aber aufgrund ihrer Vormachtstellung anordnen – man denke nur an den ,Duden‘, der seinen Ratgeber ungeniert ,Richtiges Gendern‘ betitelt.“ Es wird seit Jahren angeordnet und somit diktiert.

Nie wurde versucht, ähnlich der großen Rechtschreibreform ein im gesamten deutschsprachigen Raum brauchbares Gendermodell auszuhandeln. Stattdessen wurden die irrwitzigsten Ideen sogar auf Amtswegen verwirklicht. So wurden kürzlich auch in der Stadt Wien sogar in persönlichen Covid-Testbestätigungen der Gesundheitsbehörde MA 15 „gendergerechte“ Briefe mit abstrusen Anreden der geschlechtsneutralen Testpersonen ausgegeben: Die Anrede lautete: „Sehr geehrte/r Vorname Zunahme“. „Frau“ oder „Herr“ galt bisher als höflich, wurde aber auf solchen Ausdrucken durch einen mageren Schrägstrich ersetzt.

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Im Sog der Genderei entschlossen sich die deutschsprachigen Nachrichtenagenturen mitzumachen, jedoch mit Rücksichtnahme auf die Leser und Leserinnen der Zeitungen, in denen Artikel der jeweiligen Agentur abgedruckt werden.

Dass die Austria Presse Agentur (APA) und andere Agenturen das klassische generische Maskulinum „zurückdrängen“ wollen, führt zum Verlust. Als Gegenleistung verzichtet die APA bis auf Weiteres auf störende Sonderzeichen wie Genderstern, Unterstrich, Doppelpunkt oder Binnen-I. Chefredakteur Johannes Bruckenberger setzt auf „sprachliche Sichtbarkeit von Frauen“, was schon in der ersten Stufe des Genderns ein Hauptmotiv gewesen ist, aber in der zweiter Stufe im Namen eines fantasievollen „dritten Geschlechts“ bewusst zerstört werden sollte.

Einen gewissen Vorrang genießen in der neuen APA-Norm männlich-weibliche Doppelformen/Paarformen: Schülerinnen und Schüler, Bürgerinnen und Bürger. Was noch alles kommen wird, ist skeptisch zu betrachten. Es werden beim Tanz um den heißen Brei des generischen Maskulinums noch mehr „Studierende“, „Musizierende“ oder „Joggende“ aufmarschieren, weil männliche Studenten, Musikanten oder Jogger Anstoß erregen könnten. In der geschriebenen Sprache wird wenigstens das Binnen-I nicht mehr wie ein diskriminierender Sammelbegriff für Mädchen und Frauen angewandt, die von den Genderern allesamt als „-Innen“ abgespeist werden. Im Radio und TV werden sie bis heute als „-Innen“ vorgeführt, trotz ihrer nicht hörbaren Unterscheidbarkeit von Männern.
Die neuen Maßnahmen der Agenturen sind ein Kompromiss, der die seit Beginn des Genderns völlig unvernünftige Misshandlung der deutschen Sprache begleitet, aber abmildert. „Die Nachrichtenagenturen wollen die Entwicklung der Sprache in den nächsten Jahren gemeinsam beobachten und in enger Abstimmung mit ihren Medienkunden regelmäßig neu bewerten“, lautet die Ansage. Die Zeitungen und deren Leser können mit strengem Blick beurteilen, was herauskommt.

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Der parlamentarische U-Ausschuss geht zu Ende; hoffentlich auch die monatelangen gehässigen Kontroversen. Kurz vor Schluss erinnert „Die Presse“, wie Befragte bedrängt wurden: „Manchen Geladene nutzten die Gelegenheit aber, Dinge, die ihnen auf der Zunge brennen, endlich anzubringen“ (10. 7.) Korrekt: „manche Geladene“.

Der Immobiliengeschäftsmann „Tojner bringt sich in Bedrängnis“, lautet der Titel, weil der Unternehmer Geschäfte im gemeinnützigen Wohnbau machen soll (8. 7.). Unpässliche Schriftstücke seien aufgetaucht. Schriftstücke können nicht unpässlich sein, wohl aber würde sich Michael Tojner unpässlich fühlen, falls die Vorwürfe zu begründen sind.
Es konnten sich „die Opec und seine Verbündeten nicht verständigen“ (7. 7.). Die Opec ist weiblich, also muss sich das rückbezügliche Fürwort anpassen. Es handelt sich um „ihre“ Verbündeten.

„Jetzt war Fahrradprüfung. Am Mittwoch der Praxisteil“, erzählt das „Pizzicato“ (18. 6.), „Viertklässler befuhren einen Testkurs. Damit kriegt man den Radausweis.“ Die Viertklässler heißen in Österreich „Viertklassler“.
Eine Ausstellung auf Schloss Ambras widmet sich der fürstlichen Bekleidung aus drei Jahrhunderten. „Für einen kuriosen Moment sorgt etwa die seidengestrickte Oberhose des Herzogs August von Sachsen, die plastisch vor Augen führt, wie die protuberante Schamkapsel für Männern konstruiert und (künstlich) befüllt war.“ (26. 6.) So diskret oder indiskret das unübersehbare Stück auch prangen mag, für Männer genügt an der Stelle der Akkusativ und nicht etwa der Dativ: Das Ding ist „für Männer konstruiert“.

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DER AUTOR


Schreibt „Die Presse“ wirklich für Leser, wenn Fremdwörter an diesen geradezu vorbeigaloppieren? Der Druck auf Arbeitslose steigt. „Dazu kommt ein altbekannter regionaler Mismatch“ (6. 7.): Sind wir auf der Sportseite? Weiter in derselben Ausgabe: „Es geht darum, Kapital innerhalb einer Volkswirtschaft effizient zu allozieren“. Man kann auch Fremdwörter allozieren, das bringt aber nichts als Ärger. Englisch mit deutscher Grammatik ist geradezu ungustiös: Ein Windrad soll aufgestellt oder upgegraded werden. Manchmal werden hochgestochene Fremdwörter unübersetzt aus Ausstellungsbüchern übernommen: avant la lettre, protuberant und History Catwalk – muss das sein? (26. 6.)
Eine Filmbesprechung mit dem Titel „Hier wütet ein fleischgewordener Onlinemob“ ist schon spannend genug (6. 7.). Dann folgt der stilistische Trapezakt und lässt einen zweifeln, ob man überhaupt weiterlesen soll: „Geopolitische Stauchung hat die zuvor (zumindest oberflächlich) separierten Weltparzellen knarzend ineinandergleiten lassen.“ Filmriss.

Das Wort Chat ist dank des U-Ausschusses ein kostbarer Fund. Ohne Chat lässt sich keine Zeitung mehr machen, der Begriff aus dem Englischen passt sogar in den Geschäftstourismus unter dem Titel „Die nächste Reise wird anders sein“ (19. 6.): „Die Zeit, als Businesspassagiere wegen eines Meetings alle paar Tage quer durch Europa gechattet sind, sollte endgültig vorbei sein.“ Mit Jets hat noch nie jemand gechattet.Dr. Engelbert Washietl ist freier Journalist und Mitbegründer der „Initiative Qualität im Journalismus“ (IQ). Die Spiegelschrift erscheint ohne Einflussnahme der Redaktion in ausschließlicher Verantwortung des Autors. Er ist für Hinweise dankbar unter:

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