Hochwasser

Als sich nach dem Regen in Deutschland die Erde auftat

Das Ausmaß der Zerstörung ist noch immer nicht absehbar
Das Ausmaß der Zerstörung ist noch immer nicht absehbarimago images/Jochen Tack
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Das Ausmaß der Zerstörung ist noch immer nicht absehbar: Mehr als hundert Menschen sind tot. Die Flut zählt bereits jetzt zu einer der größten Naturkatastrophen in der modernen deutschen Geschichte.

In Mülheim an der Ruhr muss die Feuerwehr Straßen abpumpen.
In Mülheim an der Ruhr muss die Feuerwehr Straßen abpumpen.imago images/Jochen Tack

Erftstadt/Berlin/Wien. In der westdeutschen Kleinstadt Erftstadt tat sich gar die Erde auf. Stunde um Stunde brach der vom Regen aufgeweichte Boden rund um eine Kiesgrube am Stadtrand ein. Mehrere Hundert Meter trennten das Kieswerk früher von den Häusersiedlungen am Rande der Stadt. Immer mehr Erde rutschte ab, der Abgrund rückte Stunde um Stunde näher an die Häuser heran.

Nun klafft ein riesiges Loch, wo früher einmal grüne Felder, Spazierwege und Straßen lagen. Der Damm, der um die mit Grundwasser gefüllte Kiesgrube angelegt worden war, ist gebrochen. Der normalerweise kleine Fluss Erft, der sich am Kieswerk vorbeischlängelt, ist über die Ufer getreten und hat ein Stück Westdeutschland mit sich gerissen.
Die Bilder, die am Freitag aus den Katastrophengebieten drangen, muten apokalyptisch an. „So etwas kennt man nur aus dem Fernsehen“, sagt ein Bewohner von Erftstadt der deutschen „Bild“. „Ich fühle jetzt mehr mit, wenn ich Fernsehen schaue.“ In nur zwei Regentagen ist eine der führenden Wirtschaftsnationen der Welt zu einem Krisengebiet geworden.

Mehr als 1000 Vermisste

Unwetter in Rheinland-Pfalz
Unwetter in Rheinland-PfalzAPA/dpa/Thomas Frey

Mehr als 100 Menschen sind tot. Es wird erwartet, dass die Opferzahl weiter steigt. Mehr als 1300 Personen waren am Freitag noch vermisst. Diese Zahl ist auch so hoch, weil neben Straßen, Häusern, Brücken, Gleisen, Gasleitungen und Autobahnstücken auch Handymasten vom Wasser mitgerissen wurden. Familien versuchen, ihre Angehörigen zu erreichen. Noch immer suchen Zigtausende Helfer nach Überlebenden, am Freitag war eine unbekannte Zahl an Menschen in ihren Häusern eingeschlossen. Über TV-Schirme flimmerten Suchbilder vermisster Familienmitglieder.

Andere Betroffene kehrten bereits in ihre noch immer einsturzgefährdeten Häuser zurück, weigern sich, ihr Hab und Gut zurückzulassen. Ein Mann erzählt im Fernsehen, wie er am Donnerstag versuchte, seinen Nachbarn aus den Fluten zu retten. Er konnte ihn nicht festhalten, die Strömung riss ihn mit. Seitdem hat er nichts mehr von ihm gehört. Das mächtigste Land der EU befindet sich in einem tiefen Schock.

Die „Jahrhundertflut“

In Rheinland-Pfalz werden durch die Flut Bahngleise blockiert.
In Rheinland-Pfalz werden durch die Flut Bahngleise blockiert.APA/dpa/Thomas Frey

Es ist eine der größten Unwetterkatastrophen in Deutschland seit dem Zweiten Weltkrieg. Beim ebenfalls als „Jahrhundertflut“ titulierten Hochwasser im Jahr 2002 sind 21 Menschen gestorben. Nun spricht die Boulevardzeitung „Bild“ von der „Todesflut“.

Besonders die beiden Bundesländer Nordrhein-Westfalen (NRW) und Rheinland-Pfalz sind betroffen. Auch in den an Westdeutschland grenzenden Regionen in Belgien, den Niederlanden und Luxemburg traten die Flüsse über die Ufer. In Belgien starben 24 Menschen. Es wird erwartet, dass die Todeszahlen steigen, Häuser wurden evakuiert.

Rund um die niederländische Stadt Meerssen spitzte sich am Freitag die Lage weiter zu. Wegen eines Deichbruches mussten Bewohner ihre Häuser verlassen. Der niederländische Ministerpräsident, Mark Rutte, sprach angesichts des Hochwassers in der Provinz Limburg im Süden des Landes von einer nationalen Katastrophe.

Die Klimadebatte beginnt

REAKTIONEN

Die deutsche Politik schaltet angesichts der Flutkatastrophe in den Ausnahmemodus. Mehrere Politiker brachen ihren Sommerurlaub ab. Vor allem für Armin Laschet könnte die Katastrophe zu einer Bewährungsprobe werden: Der CDU-Chef ist nicht nur Ministerpräsident des schwer betroffenen Bundeslandes NRW, sondern tritt auch als Spitzenkandidat für die Unionsparteien bei den Bundestagswahlen im Herbst an. Er sprach von einer „Flut-Katastrophe von historischem Ausmaß“.

Bereits am Donnerstag traf er im Krisengebiet ein und zog die Gummistiefel an. Am Abend trat er in der Talkshow „Maybrit Illner“ auf. Am Rande beginnt in Deutschland bereits eine Debatte um die Hintergründe des Extremwetters, also um die Frage der Reaktion auf den Klimawandel. „Dieses Problem müssen wir von zwei Seiten angehen: NRW klimafest machen und den Weg Deutschlands in Richtung Klimaneutralität noch schneller gehen“, sagte Laschet am Donnerstag. Tags darauf ruderte er wieder etwas zurück. Das Wasser ist noch nicht überall abgeflossen, da analysieren Wahlforscher bereits, wie sich die Flut auf die Bundestagswahl auswirken könnte. Die Meinung bisher: möglicherweise nicht maßgeblich.Steinmeier: „Ich bin in Gedanken bei ihnen“

Der deutsche Bundespräsident, Frank-Walter Steinmeier, zeigte sich erschüttert über die Ausmaße der Flutkatastrophe im Westen Deutschlands: „Es ist eine Tragödie, dass so viele Menschen ihr Leben verloren haben. Ich bin in Gedanken bei ihnen, ihr Schicksal trifft mich ins Herz.“

Laschet: „Unwetter historischen Ausmaßes“

Nordrhein-Westfalens Ministerpräsidenten Armin Laschet zufolge ist Deutschland von einem Unwetter historischen Ausmaßes getroffen worden. Laschet sprach von einem „Jahrhundertunwetter“. Die Höhe der Schäden durch das Hochwasser sei noch nicht abzusehen. Eine Sichtung der Schäden werde erst möglich sein, wenn die Fluten abgeflossen seien, sagte der CDU-Chef. Unter anderem sei die Infrastruktur des Landes schwer getroffen. Betroffenen Bürgern sicherte Laschet rasche Hilfe zu.

Von der Leyen: „Hinweis auf Klimawandel“

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sieht bei den Überschwemmungen einen Zusammenhang mit dem Klimawandel: „Es sind die Intensität und die Dauer der Ereignisse, von denen die Wissenschaft sagt, dass sie ein klarer Hinweis auf den Klimawandel sind – und dass dies etwas ist, das wirklich, wirklich die Dringlichkeit zum Handeln zeigt.“

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