Culture Clash

Fans im Abseits

Über George Orwells Misstrauen gegenüber dem Sportsgeist. Und darüber, welches Zeichen gegen Rassismus viel stärker ist als der bloß nette Kniefall der Nationalteams.

Vor einer Woche konnte ich hier noch ein Loblied auf die sich im Fußballspiel exemplarisch verwirklichende Männlichkeit singen. Die hat ja sogar Henri de Montherlant zu einer Hymne auf seine alten Fußballschuhe inspiriert („(. . .) eure Eleganz, gemacht aus Brutalität, mit eurer Schwere, euren Kratzspuren, eurer Patina, eurem Geheimnis (. . .)“). Angesichts der Reaktion einiger Engländer auf das Elfmeterpech dreier schwarzer Spieler hat aber wohl der große George Orwell mehr zu sagen.

Im Essay „Über den Sportsgeist“ schrieb er 1945 über internationale Turniere: „Das Wesentliche ist die Attitüde der Zuschauer und – hinter den Zuschauern – der Nationen, die sich in Rage über diese absurden Wettbewerbe versetzen und ernsthaft glauben, dass es beim Laufen, Springen und Bälletreten um nationale Tugenden geht (. . .) Die Leute wollen eine Seite oben und die andere gedemütigt sehen (. . .) Ernsthafter Sport hat nichts mit Fairplay zu tun. Er geht Hand in Hand mit Hass, Eifersucht, Angeberei, Missachtung aller Regeln und der sadistischen Freude am Erleben von Gewalt. Mit anderen Worten: Er ist Krieg, nur ohne Schießen.“

Vielleicht gilt das in England, der Urheimat der Hooligans, noch mehr als anderswo. Jedenfalls haben die aktuellen Angriffe in Erinnerung gerufen, was echter Rassismus ist – nämlich die tätliche Auffassung von der Minderwertigkeit anderer –, und wie infam, scheußlich und abgrundtief schwächlich er ist. In einer Kultur, in der man schon das Wort „Schwarzfahrer“ für rassistisch hält, kann ein Blick auf „the real thing“ einiges zurechtrücken.

Echtem Rassismus ist auch mit Kniefällen nicht beizukommen. Eine Aggression gegen Menschen anderer Rasse ist meist ein lustvolles Abreagieren unbewältigter Frustration oder Demütigung. Einen Rassisten könnte man daher vielleicht noch überrumpeln, indem man sich vor ihm hinkniet. Aber im Stadion dient das Knien nur dem guten Gefühl der ohnehin schon Guten. Noch dazu legt das englische Nationalteam längst ein viel wirkungsvolleres Bekenntnis gegen den Rassismus ab: in der Freundschaft der Spieler untereinander in einer Mannschaft vieler Ethnien.

Letzten Endes sind gegen rassistische Übergriffe, die in einem gegängelten Herzen wurzeln, Aktivismen und Sprachpurismen wenig wirksam, weil sie doch nur als weitere Gängelung wirken. Was hilft, sind Vorleben und Zivilcourage und respektvoller Umgang mit anderen. Denn nur wer seine eigene Würde erfährt, kann auch die der anderen wahrnehmen. Behörden und Aktivisten sind hier machtloser als wir alle zusammen.
Der Autor war stv. Chefredakteur der „Presse“ und ist nun Kommunikationschef der Erzdiözese Wien.

meinung@diepresse.com

www.diepresse.com/cultureclash

("Die Presse", Print-Ausgabe, 18.07.2021)

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