Nach rund eineinhalb Jahren Pandemie zeigt ein Länder-Vergleich verschiedene Strategien im Umgang mit der Krise und ihre Auswirkungen auf. Gibt es ein Erfolgsrezept? Und wie hat sich Österreich geschlagen?
Kaum ist die Fußball-EM vorbei, bestimmt die Corona-Pandemie wieder die Schlagzeilen. Diesmal in ihrer Delta-Variante. Das Ganze ist also trotz gut voranschreitender Impfung noch nicht durch. Statt einer Bilanz kann es nur eine Zwischenbilanz geben. Und die fällt für Österreich gar nicht so schlecht aus, unabhängig davon wie genervt wir inzwischen alle von dieser Pandemie sind.
Da ist zum einen der historische Vergleich mit früheren Pandemien. Man braucht ja nicht ins Mittelalter oder die frühe Neuzeit zurückzugehen, als Pandemien Länder und Landstriche für Jahrzehnte zurückwerfen konnten. Schon im Vergleich mit der Spanischen Grippe von vor 100 Jahren wird deutlich, wie gut oder glimpflich wir durch diese Pandemie gekommen sind. Keine 20 Millionen Tote, die Übersterblichkeit liegt im Promillebereich. In Österreich bei etwa einem Promille. Natürlich sind die Situationen nicht vergleichbar, die Dimensionen aber sehr unterschiedlich.
Jede Woche gestaltet die „Nationalökonomische Gesellschaft" (NOeG) in Kooperation mit der "Presse" einen Blog-Beitrag zu einem aktuellen ökonomischen Thema. Die NOeG ist ein gemeinnütziger Verein zur Förderung der Wirtschaftswissenschaften.
Beiträge von externen Autoren müssen nicht der Meinung der „Presse"-Redaktion entsprechen.
Auch im Vergleich mit anderen Ländern ist einer Zusammenstellung des „Spiegels" zufolge die Pandemiebekämpfung in Österreich, wie in der EU allgemein, recht erfolgreich verlaufen. Vier Indikatoren wurden verglichen: Übersterblichkeit, Stringenz der Einschränkungen, der Wirtschaftseinbruch und die Quote von Menschen mit mindestens einer Impfung.
Finnland, Luxemburg und Norwegen liegen ganz vorn. Österreich ist auf Platz 37 von 154 Ländern zu finden, einen Platz hinter China. Platz und Abstände sind natürlich gewichtungsabhängig und deshalb nicht allzu ernst zu nehmen. Was die Studie aber kann, ist die Trade-offs zu belegen. Stärkere Einschränkungen der Freiheiten wirken sich erwartungsgemäß negativ auf die Wirtschaftsleistung aus, zeigen aber auch ihre Wirkung bei der Übersterblichkeit: Länder mit stärkeren Einschränkungen weisen in der Tendenz eine geringere Übersterblichkeit auf.
„Junges“ Afrika, günstige Insel-Lagen
Ein Erfolgsrezept scheint es nicht zu geben. Nicht einmal ein negativer Zusammenhang zwischen Ausgaben im Gesundheitswesen und den mit Covid verbundenen Todeszahlen lässt sich feststellen. Bezieht man das durchschnittliches Alter der Bevölkerung mit ein, ändert sich das vielleicht. Das vergleichsweise „junge“ Afrika ist bisher recht gut durch die Krise gekommen. Insel- und Randlagen sind vorteilhaft aber keine Garantie wie Großbritannien beispielsweise zeigt (Platz 71, Übersterblichkeit von zwei Promille, Wirtschaftseinbruch von 11,2 Prozent).
Ostasien hat die Pandemie bisher sehr gut gemeistert. Taiwan (Platz 5), Japan (7), Südkorea (12) und China (36) befinden sich im Vorderfeld der Länder des Vergleichs. Neben der recht strikten Eindämmungspolitik - man vergleiche nur Japans Umgang mit den Olympischen Spielen mit dem ungarischen oder britischen Umgang mit der Fußball-EM - dürfte auch die größere Selbstverständlichkeit des Masken-Tragens dazu beigetragen haben. Dass dieser Erfolg aber nicht unbedingt etwas für die zukünftige Entwicklung aussagen muss, dafür sprechen die niedrigen Impfraten in Ostasien (Taiwan 8,4 Prozent, Japan 23,4 Prozent, Südkorea 29,9 Prozent, China 43,2 Prozent, Stand: 30.6.)
Auch hohe Impfraten schützen nicht
Ohnehin ist auffällig wie sehr die Einschätzung über den Erfolg einer Strategie mit der aktuellen Situation schwankt. Der relativ leichte Verlauf der Pandemie in Mittel- und Osteuropa in der ersten Welle, ist durch eine weit stärkere zweite Welle überdeckt worden. Derzeit stehen die Länder Mittel- und Osteuropas schlechter da als die übrige EU, was möglicherweise auch mit deren Demografie zu tun hat. Die schnelle Änderung der Situation wird wohl so bleiben und ruft nach weiterer ständiger Aufmerksamkeit. Das ist ganz sicher eine Lehre, die man ziehen kann. Auch hohe Impfraten schützen nicht vor einer erneuten Verbreitung des Virus, wenn die Durchimpfung nicht hoch genug ist. Großbritannien erlebt das zur Zeit. Es wird also sicher kein Sommer wie früher.
Der ausgerufene Systemwettkampf geht unentschieden aus, was nicht wirklich überrascht, wenn man sich nur die völlig unterschiedliche Herangehensweise der US-Administrationen Trump und Biden an die Pandemie vor Augen führt. Auch die Zugänge Chinas und Weißrusslands oder Brasiliens sind sehr unterschiedlich. Einheitliche Muster sind deshalb schwer auszumachen.
Aus dieser Richtung kommt keine Argumentationshilfe für eine veränderte Rolle des Staates in der Wirtschaft in der nach-Pandemie-Zeit. Die Staaten der EU und die EZB haben sehr schnell und in ausreichender Höhe sowohl geldpolitische als auch fiskalpolitische Stabilisierungsmaßnahmen getroffen. Das war ihre Aufgabe, der sind die Institutionen sehr gut nachgekommen. Daraus Schlussfolgerungen für mehr staatliche Lenkung zu ziehen, scheint mir nicht nur wegen der Erfahrungen mit dem „Kaufhaus Österreich“, aber falsch.
Zusammenspiel von Staat und Privat
Insgesamt hat sich das Zusammenspiel von staatlichen und privaten Anstrengungen (mal abgesehen von den eigenwilligen Auslegungen dieses Zusammenspiels bei der Maskenbeschaffung) aber sehr bewährt. Bei der Impfstoffsuche und -herstellung zum Beispiel wurden auf Grundlage staatlicher Grundlagenforschung viele verschiedene Verfahren entwickelt und bereitgestellt. Dabei gab es Erfolgsfälle (Biontech, Moderna) genauso wie so Misserfolge (CureVac, Merck), aber eine weit größere Vielfalt und deshalb eine größere Erfolgschance als bei einer staatlich zentralisierten Entwicklung und Produktion. Das Zusammenspiel staatlicher und privater Elemente wird im weiteren Verlauf der Pandemie und danach das Erfolgsrezept bleiben.

Der Autor
Jörn Kleinert ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Universität Graz. Er arbeitet dort besonders an Themen der Internationalen Wirtschaftsbeziehungen.
Mitreden bei den Corona-Maßnahmen: Was ist jetzt noch sinnvoll? Diskutieren Sie mit!