Ökonomie

Wie Landnutzung Netto-Nullemissionen ermöglichen kann

Wird in Brasilien ein Stück Regenwald brandgerodet, entweicht der in den Pflanzen gespeicherte Kohlenstoff sofort.
Wird in Brasilien ein Stück Regenwald brandgerodet, entweicht der in den Pflanzen gespeicherte Kohlenstoff sofort.Getty Images
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Während auf der kommenden Klimakonferenz in Glasgow weitere Bekenntnisse zur klimaneutralen Wirtschaft erwartet werden, spitzt sich der Konflikt um die Landnutzung zu. Forscher untersuchen, wie in Österreich emissionslos Landwirtschaft betrieben werden könnte.

Keine 30 Jahre soll es mehr dauern, bis in der EU CO2-neutral gewirtschaftet wird. Das hielt der Europäische Gesetzgeber vor drei Wochen fest. Die USA wollen ebenfalls 2050, China nocheinmal zehn Jahre später nachziehen und senden damit starke Signale vor der Klimakonferenz COP26 im November.

„Net Zero“ – oder Netto-Nullemissionen – heißt die Parole, um die sich die Ankündigungen scharen. Das bedeutet, im Mittel und über alle Wirtschaftssektoren hinweg keine zusätzlichen Klimagase auszustoßen. Unvermeidbare Emissionen sollen laut EU ab 2050 durch natürliche oder artifizielle Senken aus der Atmosphäre gefiltert werden. Dazu zählen Weideland, Wälder, Böden oder Ozeane, welche natürlicherweise Kohlenstoff aufnehmen. Aber auch Technologien wie „Carbon Capture and Storage“ (CCS), die Kohlendioxid direkt an ihrer Entstehungsquelle binden. Weil diese bisher nicht serienreif sind, kommt der Landnutzung eine besondere Rolle zu – dabei stößt der Sektor selbst ein Fünftel der weltweiten Abgase aus.

Andreas Mayer, Senior Researcher am Institut für Soziale Ökologie an der Boku Wien, ist Experte für die Klimaemissionen des Landbaus: „Die Herausforderungen sind global sehr unterschiedlich. In Österreich machen etwa Methan und Lachgas aus der Tierhaltung 70 Prozent des Ausstoßes aus. Im globalen Süden entstehen viele Emissionen durch die sich wandelnde Landnutzung.“ Ein Beispiel: Wenn in Brasilien ein Stück Regenwald brandgerodet wird, entweicht der in den Pflanzen gespeicherte Kohlenstoff sofort. Aber auch zu Äckern umgewidmete Böden können dann weniger CO2speichern als zuvor der Waldboden. Zwei-Grad-Klimaszenarien sehen daher Aufforstung als Schlüssel zu Netto-Nullemissionen.

Hühner in der Obstplantage halten

„Pflanzenwachstum ist sicher der einfachste Weg, um CO2 aus der Atmosphäre zu holen.“ In Verbindung mit energetischer Nutzung und CCS-Anlagen zur Abscheidung und Speicherung von CO2 könnte sogar ein Biomassesektor mit Negativemissionen einhergehen. Aber es gibt bereits heute große Konflikte in der Landnutzung, die sich künftig verschärfen könnten. „Landwirtschaft, Klimaschutz und Nutzpflanzen für Bioenergie werden enorme Ansprüche an unsere Flächen stellen“, sagt Mayer. Wenn Net Zero Realität werden soll, gilt es diese Konflikte zu erkennen und zu adressieren.

Im von der Akademie der Wissenschaften geförderten Projekt „Zeafolu“ widmen sich Mayer und ein landesweites Team der Frage, wie in Österreich konflikt- und emissionslos Landwirtschaft betrieben werden könnte. „In der Region Steyr-Kirchdorf in Oberösterreich haben wir mehrere Szenarien eines klimagasfreien Landbaus entwickelt und versucht, sie mit den EU-weiten Klimazielen in Einklang zu bringen. Dabei betrachteten wir die Emissionstreiber auf der Angebots- und der Nachfrageseite“, so der Sozialökologe. Die vorläufigen Ergebnisse deuten auf einen Maßnahmen-Mix hin: Dazu zählen die Umstellung auf Biolandwirtschaft, um den Düngerverbrauch zu reduzieren, und die Etablierung von Agro-Forst-Systemen, in denen etwa Obstplantagen und Hühnerhaltung kombiniert werden. Doch den größten Hebel fanden die Forscher, wenn sie die Nachfrage nach tierischen Produkten in ihren Modellen veränderten. Mayer: „Eine Reduktion des Fleischkonsums schafft neue Spielräume für Landwirte. Doch dafür braucht es eine andere Preisstruktur auf landwirtschaftlichen Märkten, die nicht nur die Absatzmenge belohnt, sondern vor allem den positiven Beitrag zum Klimaschutz.“ Auch diesen, bisher ungelösten, Konflikt gilt es zu adressieren.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 24.07.2021)

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