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Lage in Tunesien angespannt: Präsident ruft Ausgangssperre aus

Lage in Tunis am Montag-Nachmittag, nun gilt eine Ausgangssperre
Lage in Tunis am Montag-Nachmittag, nun gilt eine Ausgangssperreimago images/NurPhoto
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Tunesiens Präsident Kais Saied hat nach der Entmachtung der Regierung eine abendliche Ausgangssperre ausgerufen. In einem Video wies Saied Vorwürfe eines Putsches zurück.

Tunesiens Präsident Kais Saied hat nach der Entmachtung der Regierung eine abendliche Ausgangssperre ausgerufen. Diese gelte ab sofort bis zum 27. August von 19.00 Uhr bis 06.00 Uhr, hieß es am Montag in einer Erklärung des Präsidialamts auf Facebook. Ausnahmen gebe es nur für dringende medizinische Notfälle und Nachtarbeiter. Zudem dürften sich nicht mehr als drei Menschen in der Öffentlichkeit treffen.

In einem Video wies Saied Vorwürfe eines Putsches zurück. Er hatte am Sonntag überraschend Ministerpräsident Hichem Mechichi entmachtet und das Parlament kaltgestellt. Auch die Minister für Justiz und Verteidigung wurden entlassen. Saied habe am Montag einen entsprechenden Erlass verabschiedet, teilte das Präsidialamt mit. Damit müssen Verteidigungsminister Ibrahim Bartaji und die amtierende Justizministerin Hasna Ben Slimane ihren Posten räumen. Am Montag war es zu Straßenschlachten gekommen.

Matchkampf mit islamisch-konservativer Partei

In dem Maghrebstaat liefert sich Saied seit Monaten einen Machtkampf mit der islamisch-konservativen Ennahda-Partei. Diese ist stärkste Kraft im Parlament, in breiten Teilen der Bevölkerung aber unbeliebt. Saied streitet mit dem nun abgesetzten Mechichi sowie mit Parlamentspräsident und Ennahda-Chef Rached Ghannouchi darüber, wie die Macht zwischen Präsident, Regierung und Parlament verteilt werden soll. Zuvor hatte Saied etwa die Ernennung von Ministern blockiert und angedeutet, dass er seine Macht ausbauen will.

Der überraschende Zug Saieds trieb seine Unterstützer in der Nacht trotz einer Corona-Ausgangssperre zu Jubelfeiern auf die Straße. Sie zündeten laut Augenzeugen Leuchtfeuer und Feuerwerk, hupten in Autos, schwenkten Fahnen und sangen die Nationalhymne. Teils waren auf Videos Militärfahrzeuge zu sehen, die durch klatschende Gruppen von Tunesiern fuhren. Der seit 2019 amtierende Saied zeigte sich dort in der Nacht kurz und versicherte, es handle sich um keinen "Putsch" und er wolle "keinen einzigen Tropfen Blut vergießen". Gewalt werde aber umgehend mit Gewalt der Sicherheitskräfte beantwortet.

Soldaten umstellten Regierungsgebäude

Wie sich die Lage weiter entwickelt, bleibt abzuwarten. Am Montag schien Saied die Übernahme der Regierungsgeschäfte mit Hilfe des Militärs sichern zu wollen. Soldaten umstellten das Parlament sowie Gebäude der Regierung und des Staatsfernsehens in der Hauptstadt Tunis. Dort räumte die Polizei auch das Büro des TV-Senders Al-Jazeera - ohne Durchsuchungsbefehl, wie der Sender berichtete. Dem von Katar finanzierten Nachrichtenkanal wird vorgeworfen, Islamisten zu viel Raum zu geben.

Das Parlamentsgebäude in Tunis wurde noch am Abend geschlossen und von Sicherheitskräften umstellt. Diese hielten in der Nacht auch Parlamentspräsident Ghannouchi davon ab, das Gebäude zu betreten. Aufgebrachte Demonstranten und Ennahda-Anhänger zogen am Montag dorthin, forderten Zugang und eine "Umkehrung des Staatsstreichs". Einige versuchten, über das Tor zu klettern, hinter dem ein gepanzertes Militärfahrzeug geparkt war. Laut Augenzeugen kam es auch zu Rangeleien zwischen Demonstranten und Unterstützern Saieds. Teils gab es Berichte über Angriffe auf Parteibüros der Ennahda.

Einziges Land mit Demokratie nach Aufständen 2011

Tunesien hat als einziges Land in der Region nach den Aufständen von 2011, bei denen Langzeitherrscher Zine El Abidine Ben Ali gestürzt wurde, einen Übergang zur Demokratie geschafft. Seitdem gab es aber mehr als zehn Regierungswechsel und das Misstrauen gegenüber der Politik ist groß. Tausende Menschen demonstrierten gegen hohe Arbeitslosigkeit und die immer noch verbreiteten Korruption. In vergangenen Tagen kam es wegen stark steigender Corona-Fallzahlen und der anhaltenden Wirtschaftskrise seit Tagen erneut zu Protesten.

Die 2014 in Kraft getretene Verfassung räumt Präsidenten in Artikel 80 das Recht ein, bei drohender "Gefahr für Einheit, Sicherheit und Unabhängigkeit des Landes" außergewöhnliche Maßnahmen zu ergreifen. Die Auslegung das vage gefassten Artikels müsste ein Verfassungsgericht klären, dessen Gründung wegen eines Streits über dessen Zusammensetzung aber immer noch aussteht.

(APA)

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