Irrtümer, Irrwege: Wie man Wahlen verliert

Gastkommentar. Zweitschlechtestes Ergebnis für die SPÖ in Wien seit 1945, das schlechteste überhaupt für die ÖVP – und den Grünen rannte ein Fünftel ihrer bisherigen Wählerschaft davon.

Die Berichterstattung des ORF zu den Wiener Landtags- und Gemeinderatswahlen am Sonntagabend war bemerkenswert. Nämlich im Sinne einer Produktion von jeder Menge heißer Luft (vulgo neues Prognoseverfahren, sprich „gewichtetes Mittel“ aus Umfragen und Kommentare/Interviews zu den solcherart generierten ziemlich banalen Ergebnissen). Wenn man ohne substanzielle Erkenntnisse eine TV-Stunde zwischen Wahlabschluss und erster Hochrechnung füllen muss, liefert man halt Pseudoinformation. So viel zum Öffentlich-Rechtlichen, aber nun in medias res.

Wahlwerbung sagt manchmal viel über die wahlwerbenden Parteien aus und zwar auch viel, was die über sich nicht aussagen wollen. Die FPÖ hat den bekannten Weg der Provokation gewählt und war damit nicht nur bei 27 Prozent der Wählerschaft, sondern auch beim Gros ihrer Gegner und der Medien erfolgreich. Die haben wie Pawlows Hunde darauf wie gewünscht zu sabbern begonnen und die Reichweite der Propaganda von Strache und Company entsprechend gesteigert.

Die SPÖ-Jugend hat aus ihrem Herzen keine Mördergrube gemacht und auf die unsäglichen, verhetzenden und der deutschen Sprache abholden FPÖ-Comics mit unsäglichen, verhetzenden und der deutschen Sprache abholden Anti-FPÖ-Comics geantwortet. Zugegebenermaßen macht es einen Unterschied, ob man gegen eine ganze Bevölkerungsgruppe hetzt oder „nur“ gegen den politischen Gegner (so auch schon Wiener Grüne gegen die Innenministerin), nur haben alle Mitwirkenden dem Vorurteil von „Politik als schmutzigem Geschäft“ reichlich neue Nahrung verschafft.

Ansonst hat die SPÖ mit ihrem populistisch unterfütterten Wohlfühlwahlkampf – natürlich rein zufällig im Gleichklang mit den steuer- beziehungsweise abgabenfinanzierten PR-Aktivitäten von Stadt- und Gemeindebetrieben – versucht, die Wählerschaft „einzukochen“. Der Erfolg war enden wollend.

Unabhängig von den Effekten der Briefwahl und den Spezifika des Wiener Wahlsystems bleibt der Befund, dass im einst „roten Wien“ die SPÖ nicht einmal mehr drei von zehn Wahlberechtigten von sich überzeugen konnte, das zweitschlechteste SPÖ-Wahlergebnis seit 1945. Mit seinem Vorschlag einer Volksbefragung über die Beibehaltung oder Abschaffung der Wehrpflicht hat Bürgermeister Häupl zudem noch die Reste seines politischen Rufes beerdigt. Die SPÖ als Anhängsel eines Boulevardmediums, mit dem sie zwar die Probleme einer überalterten Wähler- beziehungsweise Leserschaft teilt, von dem sie jedoch die inzwischen verlorene Kampagnefähigkeit unterscheidet.

Die ÖVP – eine „geile Partei“?

Ebenso erhellend war der Wahlkampf der ÖVP (hier Jugend) mit ihrem Versuch, die Wiener ÖVP als „geile Partei“ zu verkaufen. Das Hauptproblem war hier nicht die Wortwahl, sondern der prinzipielle Irrtum: Was immer die Wiener ÖVP sein mag, eines ist sie mit Sicherheit nicht – nämlich „geil“, in welcher Bedeutung des Wortes auch immer.

Fundamentale Fehleinschätzungen und Politikversagen waren überhaupt für die Wiener ÖVP charakteristisch. Von Anfang an war erstens klar, dass die „Hauptkampflinie“ zwischen SPÖ und FPÖ rund um Ausländer/Immigration und Sicherheit verlaufen würde und die ÖVP dort bestenfalls unter „ferner liefen“ firmieren würde.

Zweitens lässt sich aus den (vorhandenen) Erfolgen bürgerlicher/konservativer/christdemokratischer Parteien im großstädtischen Bereich in den letzten Jahren unschwer ableiten, dass deren „Erfolgsrezept“ in einer Kombination aus einer – von entsprechend glaubwürdigen Personen getragenen – Kombination aus „liberalen“ und weltoffenen Politikelementen einerseits und einer konservativen, wenn man will „harten“ Linie in Sicherheitsfragen andererseits besteht. Dazu kam im Wiener Bereich noch der Linksruck der Grünen und ihr Drang zur politischen Selbstbeschädigung: Beide Erkenntnisse sind offenbar von der Führung der ÖVP-Wien und ihren externen Beratern gründlich ignoriert worden.

Anstatt sich als seriöse Alternative für die über das SPÖ:FPÖ-Freistilringen Verärgerten und für verunsicherte Grün-Sympathisanten zu präsentieren, hat sie a) versucht, beim SPÖ:FPÖ-Match mitzumischen, b) ihr politisches Profil verengt und auf retro gestylt, dabei c) auf das Aufgreifen ausgesparter Probleme und Herausforderungen verzichtet und d) jede Art vernünftiger Zielgruppenansprache vernachlässigt.

Kein Angebot von Zukunft

Der Irrweg war lange, aber durchaus konsequent. Am Anfang stand die einstimmige Anti-Israel-Resolution des Wiener Gemeinderates vom Frühjahr, wobei die ÖVP-Beteiligung zwar nur von wenigen bemerkt wurde, von denen in ihrer Mischung aus Dummheit und Opportunismus aber registriert wurde. Später erfolgte die Engführung der Parteilinie und der ursprünglich als „moderne Frau“ vorgesehenen Spitzenkandidatin.

Diese wurde auf eine „Maria-Fekter-Imitation“ getrimmt (wobei die Imitation dem Original ohnehin nicht nahekommt), wenig glaubwürdig aber stammwähler- und funktionärskompatibel. Von der ÖVP gab es kein Angebot von Zukunft/Liberal/Urbanität und Strenge/Law and Order, sondern nur die halbe Ware. Die SPÖ verliert ein Zehntel ihrer Wähler, in ihren Hochburgen Simmering, Favoriten, Floridsdorf und Donaustadt zweistellig direkt an die FPÖ. Häupl dürfte ein Déjà-vu-Erlebnis (1996) gehabt haben. Ein notwendiger Koalitionspartner ist zwar lästig, aber kratzt nicht wirklich am Wiener Machtsystem. Zwei Kandidatinnen stehen bereit, deren politisches Überleben vom Sprung ins Koalitionsbett abhängt und die es dementsprechend billig geben werden.

Den Boulevard im Nacken

Die Grünen haben ein Fünftel ihrer Wählerschaft verloren und setzen ihren Abwärtstrend fort, den sie sich nach ein paar Zehntelprozent-Zugewinnen in der Steiermark schönreden wollten.

Die Wiener ÖVP hat ein Debakel erlitten – über ein Viertel der Wählerschaft verloren („Altwähler“ an die FPÖ abgegeben, potenzielle Neuwähler vor den Kopf gestoßen), das schlechteste Wahlergebnis seit 1945 und mit nicht einmal einem Zehntel der Wahlberechtigten auf den Status einer Kleinpartei reduziert.

Und die Koalitionsparteien in der Bundesregierung? Sie haben aus Angst vor Wählerverlusten ein halbes Jahr für die notwendige Budgetsanierung verstreichen und die Bereitschaft zu einschneidenden Reformmaßnahmen vermissen lassen. Ihren Denkzettel haben sie trotzdem und teilweise auch deshalb erhalten. Es fällt schwer zu glauben, dass sie jetzt den Mut finden sollten. In den nächsten Jahren sitzen ihnen zwar nicht die Wähler, dafür aber umso mehr der Boulevard, die Landesfürsten und die parteieigenen Betonfraktionen im Nacken.

Zur Person

Peter A. Ulram ist Dozent für Politikwissenschaft an der Uni Wien sowie Bereichsleiter Politikforschung bei GfK Austria.
Zahlreiche wissenschaftliche Publikationen zur Wahlforschung und Politischen Kultur im Internationalen Vergleich.
Arbeitet an einem Buch über Politik und Psychologie der Wirtschaftskrise. [FABRY]

("Die Presse", Print-Ausgabe, 12.10.2010)

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